Virtual Leadership – was Führungskräfte dafür beherrschen sollten
Virtual Leadership ist eine Digitalkompetenz mit praktischer Relevanz für die chemische Industrie. Denn egal wohin wir schauen, viele der unserem Verband angeschlossenen Unternehmen sind in amerikanischer, japanischer, französischer, schweizerischer, britischer oder koreanischer Hand – die Aufzählung ließe sich leicht verdoppeln. Dies führt nicht nur zu Kommunikation über Ländergrenzen und Zeitzonen hinweg, die Unternehmen und damit auch die Teams unserer Branche sind ebenso an unterschiedlichsten Standorten innerhalb und außerhalb Deutschlands aktiv. Aus diesem Grund war in den vergangenen Jahren Virtual Leadership Teil unseres Seminarangebotes.
Worauf es für eine gelungene Kommunikation von Führungskräften im virtuellen Raum ankommt, schildert unsere Referentin Gudrun Höhne im Folgenden:
Kompetenzfelder von Virtual Leadership
Virtuelle Teams haben ähnliche Aufgaben wie herkömmliche Teams. Das ist nicht weiter überraschend. Nur sind die Teammitglieder auf verschiedene Standorte verteilt – oft sogar weltweit. Aus diesem Grunde sollte die Führungskraft, die ein virtuelles Team führt, ergänzend über bestimmte Kompetenzen verfügen bzw. spezielle Aufgaben besonders gut wahrnehmen, die in folgendem Modell kurz dargestellt sind. Die vier Hauptfelder Teamentwicklung, interkulturelle Kompetenz, Medienkompetenz und Empowerment sind jedoch nicht immer leicht voneinander abgrenzbar und beeinflussen sich gegenseitig:
Teamentwicklung – virtuell von besonderer Bedeutung
Da ein virtuelles Team nicht über ein gemeinsames Büro verfügt, das es zusammenhält, und es keine gemeinsame Kaffeeküche gibt, sollten explizit teambildende Maßnahmen ergriffen werden. Es geht darum, unter den Teammitgliedern, aber auch mit der Führungskraft, eine gute Beziehung und Vertrauen aufzubauen. Die Teammitglieder sollten genau wissen, wer an welchem Standort sitzt, wer was zum Teamziel beiträgt und dass sie sich aufeinander verlassen können.
Um Vertrauen aufzubauen, ist vor allem ein Gleichgewicht im Team wichtig. Das heißt, dass die Führungskraft auf etwaige Ungleichgewichte achten und diese möglichst ausgleichen sollte.
Wenn z. B. fünf Teammitglieder mit der Führungskraft am Hauptsitz des Unternehmens sitzen und die anderen vier Teammitglieder auf vier Außenstellen verteilt sind, dann sollte sie ausdrücklich dafür sorgen, dass sich die vier Teammitglieder an den Außenstandorten genauso einbringen und gehört werden können wie die Teammitglieder am Hauptsitz.
Denn diese vier Teammitglieder haben im Team allein durch ihren Standort gravierende Nachteile. Weitere Beispiele zu ungleichen Machtfaktoren in virtuellen Teams habe ich früher schon einmal ausführlicher beschrieben: Virtuelle Teams – Kennen Sie die Machtfaktoren?
Ein persönliches Kick-off Meeting mit einem teambildenden Element, wie z. B. ein gemeinsamer Bowlingabend oder ein Teamkochen kann den Grundstein für eine solche Teamentwicklung setzen. Aufgewertet wird ein Kick-off Meeting durch einen Teamworkshop, auf den ich unter Kick-off und Jahresmeetings im virtuellen Team näher eingegangen bin.
Interkulturelle Kompetenz – der Unterschiede bewusst
Wenn es sich um ein internationales Team handelt, ist es wichtig, dass die Führungskraft interkulturell kompetent agiert und dies auch im Team weiterträgt. Das heißt auch, dass sie sich erst einmal ihres eigenen kulturellen Hintergrunds mit dessen vielen ungeschriebenen Regeln überhaupt bewusst wird. Erst danach sollte sie sich über kulturelle Eigenheiten der Länder informieren, aus denen ihre Teammitglieder kommen und akzeptieren, dass es mehrere Verhaltensweisen gibt, die zum Ziel führen. Hierzu gehört eine große Offenheit, eigene Verhaltens- und Kommunikationsmuster und sogar Wertvorstellungen auch einmal in Frage zu stellen.
Die Führungskraft sollte wissen, was die Teammitglieder aus anderen Ländern von ihr konkret erwarten, ihre Mitarbeiter coachen und gegebenenfalls den Führungsstil flexibel anpassen. Gleichzeitig sollte sie auch die interkulturelle Kompetenz im Team fördern, damit die wahrgenommenen Unterschiede nicht zur Bremse bzw. Stolperfalle im virtuellen Team werden. Dies kann z. B. durch einen interkulturellen Teamworkshop geschehen.
Gerne empfehle ich zur Selbstreflexion unseres deutschen Hintergrunds „Die Deutschen – Wir Deutsche“ von Syliva Schroll-Machl. Ein sehr lesenswertes englisches Buch zu kulturellen Unterschieden im Arbeitskontext ist auch „The Culture Map“ von Erin Meyer.
Übrigens, wenn sich die Teammitglieder gut kennen und einander vertrauen, dann verzeihen sie sich auch leichter einmal das eine oder andere interkulturelle Fettnäpfchen.
Medienkompetenz – Medien verstehen und richtig einschätzen
In den meisten Unternehmen greift die Führungskraft auf die vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Tools zurück. Die Vielzahl dieser Tools gilt es kompetent einzusetzen. Aufgrund der Vorbildfunktion der Führungskraft sollten z.B. E-Mails gut formuliert werden und sie sollte sich immer genau überlegen, ob E-Mail jetzt das Mittel der Wahl ist, oder ob ein persönliches Gespräch, ein Telefongespräch, ein virtuelles Teammeeting, eine Chatnachricht oder eine Information im firmeninternen Kollaborationstool bzw. sozialen Netzwerk (z. B. Yammer, Microsoft Teams, Slack) zielführender wäre.
Bei der Kommunikation im virtuellen Team gilt es stets, die Anonymität zu verkleinern und stattdessen die soziale Präsenz zu erhöhen. Denn Anonymität kann schnell zu Passivität und Unverbindlichkeit führen. Die soziale Präsenz im virtuellen Team erhöht sich, wenn sich die Teammitglieder gut kennen und sollte durch die kompetente Nutzung der Medien weiter erhöht werden.
Wenn z. B. alle Teammitglieder in virtuellen Meetings ihre Webcam anmachen, steigt die soziale Präsenz und es entsteht mehr Disziplin. Gleichzeitig wird das Teamgefühl durch die Webcamnutzung positiv beeinflusst.
Als Hilfestellung für den passenden Medieneinsatz sehen Sie hier den Ausschnitt einer Kommunikationsmatrix, bei der die Kommunikationsmedien und -szenarios entsprechend verschiedener Kriterien und deren subjektiver Wahrnehmung bewertet wurden:
Idealerweise sollten sich virtuelle Teams konkrete Regeln für die gemeinsame Nutzung der vorhandenen Medien erarbeiten. Diese Regeln schaffen ein verbessertes Bewusstsein für deren Nutzung und fördern den Kommunikationsfluss im Team. Zum Beispiel könnte man besprechen, welches Medium bei dringenden Angelegenheiten verwendet werden soll. Die Kommunikationsmatrix kann dazu als Diskussionsgrundlage herangezogen werden.
Aber auch die kompetente Moderation von virtuellen Meetings spielt eine wesentliche Rolle beim Entstehen von Teamspirit. Ein paar weiterführende Tipps für gute virtuelle Teammeetings finden Sie hier: 4 konkrete Tipps für virtuelle Meetings im Team
Empowerment – befähigt, die eigene Arbeit selbstständig zu erledigen
Da die Teammitglieder im virtuellen Team oft ohne ständigen direkten Zugriff auf die Führungskraft arbeiten, müssen sie „empowered“ sein, also ermächtigt und befähigt, ihre Arbeit selbstständig zu erledigen. Hierzu ist es besonders wichtig, dass die intrinsische Motivation der Teammitglieder erhalten bleibt bzw. noch gefördert wird. Dazu sollte die Führungskraft erst einmal wissen, was ihre Teammitglieder im Einzelnen motiviert und wie diese ticken. Dies erfährt sie in der Regel durch Einzelgespräche bzw. oder einen regelmäßigen Jour Fixe.
Aufgrund der räumlichen oder kulturellen Distanz ist auch das Risiko groß, dass der Teamleiter mit seinem Verhalten ungewollt entfernt sitzende Mitarbeiter demotiviert, ohne es zu bemerken. Allein schon Demotivation zu vermeiden ist daher als Erfolg zu werten! Trotzdem finden Sie im Video-Blog noch ein paar weitere Anregungen zur effektiven Demotivation ;). Sehr gängig dürfte beispielsweise sein, sich ausschließlich auf Telefonkonferenzen zu beschränken.
Virtual Leadership verzeiht weniger Fehler
Leider ist es so, dass gegenüber einem Präsenzmeeting im virtuellen Team jeder kleine Fehler noch schwerer wiegt. Oft bleiben Missverständnisse oder Unklarheiten unendeckt oder lassen sich schwerer ausräumen. Davon sollte man sich nicht entmutigen lassen! Ein erster, aber wichtiger Schritt ist es bereits, wenn der Teamleiter sich dieser Besonderheiten bewusst und damit besser vorbereitet ist, ein virtuelles Team zu übernehmen und anzuleiten.