Sagen, was ist – Zum Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsweisen 2025
Deutschland steckt wirtschaftlich weiter fest
Deutschland befindet sich weiterhin in einer wirtschaftlichen Schwächephase.
Diese Botschaft steht am Beginn des aktuellen Frühjahrsgutachtens 2025 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung.
Seiner Einschätzung nach dürfte das BIP dieses Jahr stagnieren und 2026 leicht um 1,0 % wachsen. Maßgeblichen Einfluss auf dieses nur verhaltene Ergebnis übt hierbei erneut die anhaltende Konjunkturschwäche der deutschen Industrie aus, deren Produktion Ende 2024 den niedrigsten Stand seit Mai 2020 erreicht hatte.
Nicht zuletzt deshalb widmet sich das Frühjahrsgutachten in einer selten gekannten Ausführlichkeit sowohl den strukturellen, als auch konjunkturellen und geopolitischen Ursachen der deutschen Industriekrise.
Schwindende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie
Strukturell wiegt aus Sicht des Rats in diesem Zusammenhang der Rückgang der internationalen Wettbewerbsfähigkeit am schwersten. So seien infolge der Energiekrise und klimapolitischer Maßnahmen die Produktionskosten, vor allem in der energieintensiven Industrie stark angestiegen. Zudem besäßen die Arbeitskosten in der deutschen Industrie ein im internationalen Vergleich relativ hohes Niveau, ohne durch einen entsprechenden Zuwachs an Produktivität gedeckt zu sein.
Dieser schwächere Zuwachs an Produktivität wird sich nach Einschätzung des Rats jedoch zukünftig fortsetzen, da auch der Strukturwandel der deutschen Wirtschaft in Richtung Dienstleistungen weiter voranschreitet – auch innerhalb des industriellen Sektors selbst. Bereiche mit geringerem Produktivitätswachstum gewinnen so gesamtwirtschaftlich an Bedeutung, während das Gewicht der Industrie langsam zurückgeht.
Mit der steigenden Verlagerung industrieller Wertschöpfung nach China, sowie einer steigenden Fertigungstiefe der chinesischen Industrie, und wachsenden Kostenvorteilen vieler Schwellenländer sei international außerdem eine starke Konkurrenz entstanden, welche die deutsche Industrie nun Exportanteile koste, was diese durch ihre starke Auslandsorientierung vergleichsweise stärker treffe.
Investitionen erfolgen nur zögerlich
Die notwendigen Investitionen, um diesen Strukturwandel wirksam zu bewältigen, vor allem auf den Feldern Dekarbonisierung, Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz oder auch Elektromobilität, erfolgten jedoch nur zögerlich, nicht zuletzt aufgrund der hohen wirtschaftspolitischen Unsicherheit.
Die unklare Ausrichtung der derzeitigen Energie- und Regulierungs- und Genehmigungspolitik und hohe Bürokratiekosten, aber auch die wachsenden handelspolitischen Unsicherheiten in Bezug auf die USA führten stattdessen zu einer starken Zurückhaltung und Verschiebung bei Investitionen, gemäß des Mottos „Abwarten und Tee trinken.“ Die derart zurückgehaltene Liquidität fließe so nicht in neue Märkte oder Technologien.
Veränderte Produktnachfrage
Es sind jedoch nicht strukturelle Veränderungen auf der Angebotsseite, die für die krisenhafte Situation verantwortlich sind. So stellt der Sachverständigenrat einerseits fest, dass die globalen Nachfrageimpulse seit der Corona-Pandemie allgemein geringer ausfallen. Gleichzeitig verlagere sich die internationale Nachfrage auf die Bereiche digitaler Dienstleistungen, grüner Technologien und wissensintensiver Produkte. Das traditionelle deutsche Produktportfolio des Maschinenbaus, der Automobil- aber auch der Chemieindustrie stünden stattdessen nicht so sehr im Vordergrund.
Was tun?
Entsprechend klar formuliert der Sachverständigenrat daher auch die Anforderungen an das im Frühjahr 2025 beschlossene Finanzpaket, speziell in Verbindung mit der Stärkung des industriellen Standorts Deutschland.
So sollte das Paket vorrangig für zusätzliche Investitionen genutzt werden, nicht zur Finanzierung bereits geplanter Ausgaben. Insbesondere müsse der Fokus auf Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung und Dekarbonisierung liegen. Notwendig sei es, vor allem langfristige Perspektiven entwickeln, und diese mit wirksamen Strukturreformen zu begleiten, wie über Bürokratieabbau, Ausbau von Produktionskapazitäten und die Förderung von Innovation.
Die Probleme sind benannt – die Lösungsvorschläge auch
So ausführlich wie selten beschreibt der Sachverständigenrat in seinem Frühjahrsgutachten wie komplex und eng das Netz aus strukturellen Problemen, regulatorischen Hürden, geopolitischen Umwälzungen und Transformationsherausforderungen gewebt ist, in dem die deutsche Industrie derzeit steckt, und liefert damit einen wertvollen und umfassenden Erklärungsansatz, weshalb es gerade der deutschen Industrie kaum gelingt, unmittelbar vom globalen Wachstum zu profitieren.
Zeitgleich vermeidet es der Rat, an dieser Stelle stehen zu bleiben. Er unterbreitet zugleich einen umfassenden Katalog an Vorschlägen zur Überwindung der Krise – verbunden mit dem dringenden politischen Appell, insbesondere die jüngst geschaffenen finanziellen Spielräume historischen Ausmaßes in einer möglichst ebenso historisch sinnvollen Weise zu nutzen.
Weitere Informationen
Regelmäßige Informationen zur wirtschaftlichen Situation enthält der verbandseigene Konjunkturbericht „konjunktur.kompakt“, der monatlich zur konjunkturellen Entwicklung der Chemie- und Pharmaindustrie berichtet. Es ist im Bereich Beschäftigung und Arbeitsmarkt der Publikationen von HessenChemie jederzeit abrufbar – auch in englischer Sprache.
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