Meeting-Kultur reflektieren und verändern

Meetings sind im Geschäftsalltag vieler Unternehmen so allgegenwärtig, dass es zu einem Paradoxon kommt: Gerade durch ihre Verbreitung verschwinden sie vom Radar der Aufmerksamkeit und damit auch die Fragen nach ihrer Häufigkeit und Dauer, wer daran teilnimmt und wie sie ablaufen. Trotz der versunkenen Kosten und negativen Auswirkungen schlechter Meetings auf die Produktivität und Zufriedenheit der Mitarbeitenden werden Besprechungen oft mehr hingenommen als bewusst gestaltet.

Hinzu kommt, dass durch die Erfahrungen der Pandemie und auch durch die postpandemischen Regelungen zu Homeoffice und hybrider Arbeit produktive Meetings sogar an Bedeutung gewonnen haben, einfach weil deren Anzahl und Taktung zugenommen hat („Meetingitis“). Da zudem im Virtuellen die natürlichen Pausen (Anfahrt, Hinlaufen :) zwischen zwei Meetings wegfallen, finden oft mehr Meetings statt. Die fehlenden Pausen wiederum machen die stattfindenden Meetings aufgrund des Erschöpfungsgrades der Teilnehmenden in der Tendenz unproduktiver. Der Teufelskreis der Meeting-Misere.

Woran machen wir unproduktive Meetings fest?

Aber woran machen wir unproduktive Meetings eigentlich fest? In unproduktiven Geschäftsmeetings ist oft eine negative Grundstimmung zu beobachten, in der sich die Teilnehmenden gegenseitig ins Wort fallen oder extrovertierte Personen die Diskussion dominieren und ein gewisses Maß an Selbstdarstellung toleriert wird. Auch die Tatsache, dass Führungskräfte mehr zu ihren Mitarbeitenden sprechen, anstatt sich auf sinnvolle Diskussionen einzulassen, kann ein Merkmal sein, ebenso wie die Verbreitung von Multitasking in Meetings: Wann soll bei all den Meetings schließlich sonst die Arbeit erledigt werden (wofür es Evidenz gibt, ist, dass Multitasking mit der Anzahl der Teilnehmer und der Dauer eines Meetings zunimmt)?

Aber auch mangelhafte Prozesse spielen eine entscheidende Rolle für unproduktive Besprechungen. Teilweise fehlt es an einer klaren Agenda und Zielsetzung der Besprechung (Besprechungsvorbereitung), es sitzen die falschen Personen in der Besprechung (z.B. nur „Zuschauer“ statt Entscheidungsträger) und es fehlen Aktionselemente, die den Grundstein für die Erledigung von Folgemaßnahmen legen.

Wenn dann noch Schwierigkeiten mit der Technologie auftreten, zum Beispiel durch verschiedene Tools und Systeme, die nicht nahtlos miteinander verbunden sind, Schwierigkeiten bei der Visualisierung besprochener Inhalte oder einfach stabiler Bandbreite für eine reibungslose Zuschaltung, werden Organisatoren und Teilnehmende oft überfordert, Stress und Frustration können die Folge sein.

Meetings machen Unternehmenskultur und Führung erlebbar

Nun kann man sicher nicht alle Besprechungen über einen Kamm scheren, es gibt sehr unterschiedliche Ziele, die mit Besprechungen erreicht werden sollen, entsprechend unterschiedlich sind auch die Anforderungen an ihre Planung und Durchführung. Meetings können der Informationsweitergabe (z.B. Schichtübergabe, Check-in) oder der Entscheidungsfindung dienen, sie werden zur Besprechung von Teamkonflikten oder zum Feedback genutzt, sie werden einberufen, um komplexe Probleme zu lösen, Ideen zu sammeln, Aufgaben zu verteilen oder Strategien zu entwerfen.

Unabhängig davon, welchem Zweck Besprechungen dienen – die in Besprechungen gelebte Kultur ist (zumindest ein Stück weit) Ausdruck der Unternehmenskultur und wirkt als Mikrointervention auf diese zurück. In Besprechungen wird Unternehmenskultur erlebbar, sie ermöglichen aber auch Kulturwandel. Das wird beispielsweise am Einfluss deutlich, der durch das Verhalten der Führungskraft im Meeting zum Tragen kommt, die dabei als Vorbild für die Mitarbeitenden dient: Wenn z.B. die Führungskraft selbst viele Ideen einbringt, regt dies die Mitarbeitenden zu ähnlichem Verhalten an. Meetings sind daher ein wichtiges Element für die (Weiter-)Entwicklung der Unternehmenskultur und des damit verbundenen Führungsverständnisses.

Unser Workshop mit dem Center for Better Work

Die geschilderten Erkenntnisse und ein Interview mit der Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie Nale Lehmann-Willenbrock (Wieso die Meeting-Kultur ein Spiegel für den Unternehmenserfolg ist) waren für uns Grund genug, uns im Rahmen unserer HessenChemie-Akademie im vergangenen Jahr intensiv mit Meetings und deren Kultur zu beschäftigen – denn in Besprechungen passiert vieles gleichzeitig:

  • Es werden Probleme gelöst und Ideen im Team gefunden,
  • die Zeit aller Beteiligten wird gemanagt,
  • man führt Konsens und Entscheidungen herbei,
  • Meetings können den Sinn betrieblicher Abläufe erklären
  • und es werden im besten Fall soziale Beziehungen aufgebaut und gefestigt.

Am Center for Better Work der Universität Hamburg wird an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis der Arbeits- und Organisationspsychologie gearbeitet und geforscht, mit der Überzeugung, dass das enorme Potenzial zur Verbesserung der Arbeit durch die bessere Gestaltung von Meetings noch lange nicht ausgeschöpft ist.

Aber was sind Meetings eigentlich?

„Meetings sind definiert als strukturierte, zweckorientierte Interaktion zwischen mindestens zwei Personen. Sie sind vorab terminiert, dauern typischerweise zwischen 30 und 60 Minuten und können in Präsenz, virtuell oder in Mischformen stattfinden (Rogelberg et al., 2006).“

Unser zweitägiger Workshop gliederte sich in einen vorgeschalteten Online-Input, der wichtige Erkenntnisse aus der Besprechungsforschung zusammenfasste. Im zweiten Teil haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Tag im HessenChemie Campus ihre eigenen Meetings reflektiert und auf Verbesserungen hin bearbeitet.

Die Merkmale eines miserablen Meetings zu finden war nicht schwer :). Die hierbei erarbeiteten Aspekte sind ein guter Ausgangspunkt, die eigenen Meetings zu verbessern.

Wir haben ein gutes Gespür für schlechte Meetings

Wie der Einstieg in unseren Workshop gezeigt hat, haben wir ein gutes Gespür dafür, was bei der Durchführung von Besprechungen schiefläuft und zu Unzufriedenheit führt (siehe Sammlung oben). Wenn man dann noch einen Schritt weiter geht und sich die Besprechungen im gesamten Unternehmen oder in ganzen Bereichen anschaut, also die Besprechungshäufigkeit der einzelnen Hierarchieebenen, diese mit externen Benchmarks (The Future of Meetings Report oder Porter/Nohira – How CEOs Manage Time) vergleicht und diesen Aufwand mit Kosten hinterlegt, dann kann man auch auf Managementebene eine Diskussion darüber führen, ob der Status quo der heutigen Besprechungen akzeptabel ist.

Diese Zahlen zur Orientierung stammen von den Forscherinnen des Center of Better Work:

  • Mitarbeitende: 11-15 Meetings pro Woche
  • Führungskräfte: bis zu 21 Meetings pro Woche

Meetingkäufigkeit, -dichte, -pünktlichkeit und informeller Austausch

Aber nicht nur die Anzahl der Meetings kann negative Einflüsse haben, auch verspätete Meetings werden prospektiv und retrospektiv als weniger effektiv wahrgenommen, die Gruppenleistung ist in verspäteten Meetings geringer, da die negative Gruppendynamik meist von der „Warteschleife“ in das eigentliche Meeting überschwappt.

Gerade die gehäufte und nahtlose Aneinanderreihung virtueller Meetings führt dann zu einer spezifischen, nicht durch typische Tagesverläufe erklärbaren Ermüdung, der sogenannten Zoom-Fatigue. Diese kann sich in Konzentrationsproblemen, Kopfschmerzen, überanstrengten Augen, Bewegungsmangel und allgemein in einer Belastung durch das „digitale Grundrauschen“ äußern.

Nicht selten geht diese Besprechungspraxis auch mit einem Mangel an informellem Austausch einher, da virtuelle Besprechungen möglichst kurz gehalten werden (um möglichst viele planen zu können), die Kommunikation dadurch auf die Sachebene reduziert wird und die kurzen Zeitfenster für Besprechungen ohnehin keinen tieferen Austausch mehr zulassen bzw. die ohnehin schwerer erkennbaren Signale nonverbalen Verhaltens im Virtuellen gar nicht mehr wahrgenommen werden.

In diesen Beschreibungen steckt jeweils schon der Ansatz zur Verbesserung – und auch die Strategien zur Vorbeugung von Zoom Fatigue sind einleuchtend, aber sicher leichter zu verstehen als umzusetzen.

  • Digitale Tools für sozioemotionale Kommunikation verwenden, wie den Check-In-Generator
  • Informeller Kommunikation Raum geben, z.B. in gemeinsamen virtuellen Kaffeepausen
  • Zoom-freie Zeiten einräumen
  • Viel mehr Pausen einplanen (z.B. immer nach 50 Minuten; lange Mittagspause)
  • Wohlbefinden thematisieren
  • Üben, bewusst nicht auf den Bildschirm zu gucken
  • Kamera einschalten!

Drei Fragen zur Bewertung der eigenen Meetings


  • Wie ist die Zufriedenheit mit den Meetings in unserem Unternehmen und/oder einzelnen Bereichen?

  • Welche Meetinghäufigkeit und -struktur (Länge, Anzahl der Teilnehmenden, Pünktlichkeit etc.) haben wir auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen?

  • Was kostet uns unsere heutige Meetingpraxis?

Ansatzpunkte für bessere Meetings

Welche weiteren Punkte wurden in unserem Workshop diskutiert, was positiven Einfluss darauf hat, wie Meetings durchgeführt und erlebt werden?

Kein Witz: Humor spielt in Meetings eine Rolle

Humor fördert die Zufriedenheit in Besprechungen (wenig überraschend), aber geteilter Humor setzt auch neue Ideen frei und fördert die Teamleistung. Vor allem Führungskräfte können die Art des Humors steuern. Wer gute Meetings durchführen möchte, darf sich daher ganz im Ernst fragen: Welchen Platz räumen Sie Humor in Ihren Besprechungen ein? Wann haben Sie das letzte Mal gemeinsam mit Ihrem Team herzhaft gelacht? Worüber wird in Besprechungen gescherzt?

Agile Meetings führen zu anderen Interaktions- und Beteiligungsmustern

Wer sich bereits intensiver mit Scrum als Rahmen für die Zusammenarbeit von Teams beschäftigt hat, ist vielleicht mit einigen der Rollen (z.B. Product Owner, Scrum Master) und wiederkehrenden Aktivitäten (z.B. Sprint, Daily, Retro) vertraut, welche die Eckpfeiler von Scrum bilden. Deren Anwendung bringt bereits ein gewisses Korsett an Spielregeln – zum Beispiel das Time-Boxing – mit sich, die in der Regel mit Klarheit, Fokus, Disziplin und Partizipation einhergehen – alles das Gegenteil von schlechten Meeting-Erfahrungen. Die Besprechungsforschung bestätigt dies und legt nahe, dass in agilen Settings mehr Wissen ausgetauscht und Fragen gestellt werden, sozio-emotionales Verhalten (z.B. Humor) zunimmt und kontraproduktives Verhalten weniger ausgeprägt ist.

Informelle Kommunikation gehört zu gelungenen Meetings

Informelle Kommunikation ist kein verzichtbares Beiwerk. Fehlt der informelle Austausch in virtuellen und hybriden Settings, leidet nicht nur das Gemeinschaftsgefühl – auch Problemlösungs- und Entscheidungsprozesse benötigen deutlich mehr Zeit, insbesondere dann, wenn die eigene Arbeit von anderen abhängt. Um informelle Kommunikation in diesen Settings zu ermöglichen, gibt es einige Empfehlungen für Führungskräfte: (1) Meetings ein paar Minuten früher als geplant beginnen, um Smalltalk abseits der Tagesordnung zu ermöglichen, (2) freiwillige informelle Events, bei denen alle die Kamera einschalten und die Teilnehmerzahl nicht zu groß ist, oder auch (3) die Normen der Kontaktaufnahme ausdrücklich zu besprechen, können hilfreich sein: Wann ist z.B. eine Kontaktaufnahme angebracht? In welcher Form und über welchen Kanal? Welche Signale können für Präsenz und Ansprechbarkeit verwendet werden? Etablierte Statussignale und Farbcodes können verwendet werden: Ein grüner Status entspricht der offenen Bürotür und bedeutet Ansprechbarkeit, auch für informellen Austausch; ein roter Status entspricht der geschlossenen Bürotür und bedeutet „Bitte nicht stören“.

Rollenzuweisung und -verteilung bei hybriden Meetings

Die Moderation in hybriden Settings stellt eine besondere Herausforderung dar. Während sich Teilnehmende aus der Ferne oft ausgeschlossen fühlen, berichten Teilnehmende vor Ort von Überforderung und fehlender Gruppendynamik im Raum. Dieses Spannungsfeld lässt sich vermutlich nicht gänzlich auflösen, aber die Zuweisung verschiedener Rollen (Technology Lead, Zeitmanager, Protokollant, Visualisierer, Chatmonitor-Beauftragter, Meeting Buddies, damit zugeschaltete Personen gehört und nicht übersehen werden etc.) entlastet die Moderation in ihrer Kernaufgabe – gleiche Chancen für alle Beteiligten zu schaffen, sich einzubringen und die Diskussion zu steuern – und aktiviert gleichzeitig die Rolleninhaber.

Fazit: Bessere Meetings sind möglich, wenn…

  • überlegt wird, bevor man einlädt: Brauchen wir dieses Meeting wirklich? Wer muss dabei sein? Wie lange brauchen wir?
  • das Format (präsentisch, virtuell, hybrid) auf das Thema abgestimmt ist.
  • Normen für eine verbesserte Gruppeninteraktion festgelegt und bekannt sind, z.B. eine eingeschaltete Kamera.
  • die Teilnehmenden und vor allem die Meetingleitung (über-)pünktlich sind.
  • die Meetingleitung Beteiligung und Entscheidungsfindung fördert.
  • man sich an die Agenda hält und (Folge-)Aktionen gezielt steuert.
  • den Wert informeller Kommunikation kennt und fördert – auch in vermehrt virtuellen und hybriden Settings.
  • die Meetingleitung ihr eigenes Meetingverhalten nutzt, um positive Interaktionsmuster im Team zu triggern.
  • die Meetingleitung eine positive Einstellung zeigt, um mit der eigenen Lösungsorientierung zum Modell für das Team zu werden.
  • im Team das Bewusstsein hergestellt wird, dass ALLE mitverantwortlich für ein gelungenes Meeting sind.
  • Reihenfolge und Sprecherwechsel aktiv gemanagt werden.
  • Pausenzeiten eingeplant werden, insbesondere längere Mittagspausen.
  • die Gesamtanzahl der Meetings im Unternehmen im Blick behalten werden.

Viele der oben genannten Punkte liegen in der Hand der Meetingleitung oder Unternehmensführung, die den Rahmen gestalten kann, in dem Meetings stattfinden. Manche Aspekte erscheinen vielleicht fast banal oder selbstverständlich… wem aber an besseren Meetings gelegen ist, kann diese Liste immer wieder zum Reflektieren und Verändern nutzen.

Mehr zur Meetingforschung und weiterführende Angebote zur Meetingdiagnose und Organisationsentwicklung rund ums Meeting gibt es beim Center for Better Work an der Universität Hamburg.

Clemens Volkwein

Clemens Volkwein

Clemens Volkwein ist Demografieberater für die hessischen Unternehmen aus Chemie, Pharma und Kunststoffverarbeitung. Hysterie in der Demografie-Debatte hält er für überflüssig, gute Ideen hingegen nicht, wie sich die Alterung und Schrumpfung unserer (berufstätigen) Bevölkerung positiv gestalten lassen.

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