On- oder offline – das Gesundheitsmanagement der Zukunft
Auch das Betriebliche Gesundheitsmanagement digitalisiert sich. Aber die Weiterentwicklung des BGM hat nach wie vor ein analoges Standbein. Wie on- und offline sich ergänzen, hat die Initiative Gesundheitsindustrie im HessenChemie Campus thematisiert.
Das Gesundheitsmanagement der Zukunft also. Kleiner hatten wir es bei der Titelwahl gerade nicht. Aber schließlich stand unsere Veranstaltung der Initiative Gesundheitsindustrie Hessen (IGH) in der Reihe ‚Moderne Arbeitswelten‘ – das verpflichtet.
Die Reihe ‚Moderne Arbeitswelten‘ gibt einen Einblick in der Qualität der Arbeitsbeziehungen der hessischen Gesundheitsindustrie. Wir möchten mit dieser Veranstaltung zeigen, was für die Öffentlichkeit oft nicht sichtbar ist: Auf welchem Niveau dort Gesundheit nach innen gelebt wird.“
– Gregor Disson, Projektbüro Initiative Gesundheitsindustrie Hessen
Zumindest wurde so klar, was die Veranstaltung leisten sollte: Den Weg aufzuzeigen für die Weiterentwicklung des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Das heißt vor allem zu fragen, wie ein digitales Gesundheitsmanagement aussieht, aber auch, welche Lösungen das Gesundheitsmanagement für die Herausforderungen dieser neuen Arbeitswelt bietet.
Um dies einzulösen haben wir für den inhaltlichen Auftakt auf die größte Trendstudie auf diesem Gebiet zurückgegriffen. Diese betitelt sich ebenso trendig #whatsnext – Gesund arbeiten in der digitalen Arbeitswelt und hat 2017 breite Resonanz gefunden. Dr. Mark Hübers vom Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) hat uns deren zentrale Ergebnisse vorgestellt und erläutert was notwendig ist, um das BGM in den nächsten fünf Jahren weiterzuentwickeln.
Engagement der Führungskräfte ist essenziell
Im Ergebnis haben sich die 800 befragten BGM-Verantwortlichen klar geäußert: Neun von zehn Befragten sehen das Engagement der Führungskräfte als mit Abstand wichtigsten Faktor für ein zukunftsfähiges Gesundheitsmanagement, sogar deutlich vor einem höheren Budget oder größeren personellen Ressourcen. Dazu passt, dass insbesondere die Beispiele von B. Braun (Betriebliches Eingliederungsmanagement) und Sanofi (Darstellung eines Trainingskonzepts) genau jene Führungskräfte ins Zentrum stellten.
Gesundheitsförderung in Unternehmen braucht heute weit mehr als rückengerechte Bürostühle und veganes Kantinenessen. Digitale Transformation und Globalisierung stellen neue Anforderungen an Unternehmen und ihre Beschäftigten.
– Techniker Krankenkasse zur #whatsnext-Studie
Zudem dürfen gesundheitsfördernde Aktivitäten aufsuchender und spielerischer werden. Wer diese auf den Feierabend fernab des Betriebs verlegt, hat dadurch meist schon verloren. Ob mit Gesundheitslotsen oder einem Gesundmobil – es gewinnen Ideen, die Kommunikation auf Augenhöhe ermöglichen und sich dem natürlichen Arbeitsumfeld möglichst ohne Brüche einfügen.
Ein weiterer großer Trend stellt jede Art von Gamification dar, in Form von Teamchallenges, Ranglisten und Co. So können etwa Standorte, Abteilungen oder ganze (Unternehmens-)Regionen bei Firmengehwettbewerben darum wetteifern, wer ein virtuelles Ziel (Mount Everest, Mercedes-Benz Arena) zuerst erreicht. Die zurückgelegten Schritte werden dabei zum erwünschten Nebeneffekt.
Wer sich tiefer in einen der insgesamt 14 Befragungsbereiche einarbeiten will (z.B. Permanente Erreichbarkeit / Pendeln oder Digital Leadership / Gesundes Führen), der kann dies hier tun. Wer hingegen im kommenden Jahr selbst Teil der Studie werden will, kann sich für die im Februar/März 2020 stattfindende Erhebung heute schon unter www.ifbg.eu/whatsnext2020 registrieren.
#whatsnext 2020 – Registrierung zur Neuauflage der Studie
Schlafparcours im Rahmenprogramm
Aber auch das Rahmenprogramm lag nahe bei dem, was Krankenkassen derzeit als besonders auffällig einstufen. So ist die Entwicklung der Zahl an ärztlich diagnostizierten Schlafstörungen (Insomnie) eklatant: Nach Daten der Barmer ist deren Zahl zwischen 2006 und 2017 um 63 Prozent angestiegen.
Im Schlaf-Parcours konnten sich die Teilnehmer daher zu Themen wie Licht, Lärm und Medienkonsum oder zur optimalen Schlafumgebung informieren. Im virtuell begehbaren Schlafzimmer konnten zudem Störquellen für einen gesunden Schlaf entdeckt und ausgeschaltet werden.
Sehr schön aufgearbeitet wurde die Bedeutung von gesundem Schlaf auch bei der Betriebskrankenkasse von Merck, die mit mit der Kampagne ‚Bettgeflüster‘ – BKK-Kampagne für einen gesunden Schlaf vertreten war. Die öffentlich zugängliche Kampagnenseite fasst unter anderem einen Selbsttest, ein Schlaftagebuch und verschiedene Webinare in schöner Form zusammen!
Kommen wir nun aber zur Praxis, den Beispielen aus den Unternehmen der Gesundheitsindustrie in Hessen.
Das Gesundheitsmanagement mit Kennzahlen steuern
Diese waren so vielfältig und interessant, dass hier einfach der Platz fehlt auf jedes in der Tiefe einzugehen. Dennoch möchte ich aus jedem Beispiel einen markanten Punkt herausgreifen.
Bei Merck, unserem Auftakt, ist das der spürbare Ehrgeiz, sich mit einer immensen Anfangsinvestition Schritt für Schritt ein ‚Cockpit‘ an Kennzahlen aufzubauen.
Warum das Ganze?
Weil ein anspruchsvolles Gesundheitsmanagement sich irgendwann nicht mehr ausschließlich über Teilnahmequoten oder Happy Sheets definieren kann. Vielmehr möchte Merck wissen:
Welchen Effekt hat eine BGM-Maßnahme auf eine bestimmte Gesundheitskennzahl?
Wie hängen unterschiedliche Gesundheitskennzahlen zusammen und welche davon haben den größten Einfluss auf die Mitarbeitergesundheit
Denn letztlich geht es darum, sich der Frage zu nähern: Tun wir das richtige im Gesundheitsmanagement, setzen wir unsere Ressourcen gut ein?
Man sieht schon – das ist alles andere als trivial und erfordert auch schon mal die Kenntnis eines Korrelationskoeffizienten oder die Anwendung einer Plattform für Datenanalyse (Merck setzt dabei auf Qliq Sense). Für diejenigen, die nun neugierig geworden sind, kommen hier die dazugehörigen Charts:
Führungskräfte in die Verantwortung nehmen
Danach war Sanofi an der Reihe, an deren deutschem Standort im Industriepark Höchst knapp 7.500 Menschen beschäftigt sind. Dort befindet sich beispielsweise auch das im Sommer bezogene Device Technology Center, in dem alle Kräfte zur Entwicklung und Industrialisierung von Applikationshilfen für Insuline und andere Biologika – wie etwa Antikörper – gebündelt werden.
Bei dem von Sanofi eingeführten Trainingskonzept sticht der enorme zeitliche Aufwand (sechs Tage bei einer Programmlaufzeit von sechs Monaten) hervor, mit dem jede Führungskraft auf die strategische Weiterentwicklung der Führungskultur verpflichtet wird. (Mehr zu den Inhalten der jeweiligen Module in der folgenden Präsentation.)
Hessenchemie_Blog_Koch_Führungsverantwortung-GesundheitZudem wird besonderer Wert auf den Transfer in den Alltag gelegt, wozu ein sogenanntes Führungslogbuch ein wichtiges Instrument ist. Dieses Logbuch wird alleine von der teilnehmenden Führungskraft geführt und während der Workshops, vor allem aber im Führungsalltag, bearbeitet.
Von der Frühberatung bis zur Videosprechstunde
Nicht minder interessant war, wie AbbVie (hier bei der Auszeichnung mit dem Corporate Health Award 2017) dem gesetzlich definierten Eingliederungsmanagement eine betriebsärztliche Frühberatung vorschaltet, um erkrankte Mitarbeiter/Innen möglichst frühzeitig und umfassend zu unterstützen. Für mich extrem vorbildlich, wie hier Prävention im Rahmen des eigenen Handlungsspielraums ausgestaltet wird.
Bei B. Braun stand die konsequente Anwendung unterschiedlicher Gesprächsformen im Zentrum. Letztlich geht es für den Vorgesetzten darum, nahe am Mitarbeiter zu sein, die (Gesundheits-)Lage richtig einzuschätzen und bei Bedarf die Vernetzung zu den vorgehaltenen Unterstützungs- und Hilfsangeboten des Gesundheitsmanagements herzustellen.
Digital wurde es dann mit Dr. Tobias Rethage vom arbeitsmedizinischen Zentrum des Infrastrukturbetreibers Infraserv Höchst. Er stellte vor, wie sich die betriebsärztliche Sprechstunde und Vorsorgeuntersuchungen mittlerweile Online per Video durchführen lassen. Er nutzt hierzu die Software Patientus, was idealerweise – gute Bild- und Tonqualität vorausgesetzt – nicht nur dem Patienten/Arzt, sondern auch dem Unternehmen Vorteile bietet:
Die zeitliche und örtliche Flexibilität kann für den Patienten/Mitarbeiter Anfahrtszeiten überflüssig machen und Wartezeiten minimieren.
Die Leistungserbringung wird wirtschaftlicher, sofern einmal die nötigen Vorkehrungen zur Untersuchung eingerichtet sind (beispielsweise durch die Bereitstellung eines zentral im betreuten Unternehmen hinterlegten iPads, das durch den Mitarbeiter ausgeliehen werden kann).
Wohin geht die Reise beim digitalen Gesundheitsmanagement?
Digitale Arbeitswelt braucht auch digitale Gesundheitsförderung.
– Dr. Jens Baas, Techniker Krankenkasse
Zweifellos bringt die Digitalisierung ganz eigene gesundheitliche Herausforderungen mit sich. Denken wir dazu nur an das Ablenkungspotenzial von Smartphones. Studien sprechen davon, dass wir täglich 88 Mal zum Endgerät greifen, 53 Mal wird es entsperrt.
Paradoxerweise ist es auch das Smartphone, das uns – beispielsweise mit Meditationsapps – gleichermaßen einen Zugang zu Achtsamkeitsübungen bietet, der so einfach ist wie nie zuvor. Unsere Teilnehmer konnten dies am eigenen Körper und Geist erfahren, denn Manuel Ronnefeldt von 7Mind hatte uns im Gepäck aus Berlin eine Meditation mitgebracht.
Anwendungen für ein digitales BGM
Aber Apps wie 7Mind sind nicht die einzige Möglichkeit, das Betriebliche Gesundheitsmanagement (dBGM) digital zu unterstützen. Jan Götze von der UBGM hat uns abschließend in diesem wildwüchsigen Markt einen orientierenden Überblick gegeben.
Als wichtigste Anwendungsszenarien lassen sich Gesundheitsplattformen (dacadoo), Programme zur Employee Assistance (INSITE), BGM-Komplettsysteme (machtfit, EXPARO), BEM-Software (Saneware), Gesundheits-Apps und Wearables unterscheiden.
Im Fall von Gesundheitsplattformen besteht die Attraktivität beispielsweise darin, dass diese rund um die Uhr zur Verfügung stehen (am PC oder auch über dazugehörige Apps) – auch für jene, die man seltener im Unternehmen antrifft, wie den Außendienst oder Mitarbeiter im Home Office. Außerdem kann in solchen Komplettsystemen das ganze Spektrum an betrieblichen Angeboten transparent dargestellt und personalisiert werden.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass es insbesondere für die riesige Zahl an Gesundheits-Apps oft noch an Evidenz fehlt, Gütekriterien für mehr Qualitätstransparenz sich erst in Arbeit befinden und insbesondere der Datenschutz eine Hürde darstellt, die zunächst einmal genommen werden muss. Erst dann können Smartphones, Tablets, Wearables oder Datenbrillen ihre Stärken ausspielen und das Betriebliche Gesundheitsmanagement um den Zusatz ‚digital‘ sinnvoll ergänzen.