Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust – zur Wirtschaftslage der Chemie im 1. Halbjahr 2024

Hessens Chemiekonjunktur im 1. Halbjahr 2024

Erholung in minimalem Tempo

Die Zahlen bleiben schwach: bis einschließlich Juni fällt die chemisch-pharmazeutische Industrie in Hessen in sämtlichen relevanten Konjunkturkenngrößen hinter die jeweiligen Niveaus aus dem Vorjahr zurück. Die Produktion sinkt um knapp 1 Prozent, die Umsätze gehen um knapp 4 Prozent zurück. Hierzu hat nicht zuletzt auch der Rückgang der Erzeugerpreise um 2 Prozent beigetragen.

Hierbei offenbart sich die Branche in Hessen wirtschaftlich weiterhin als ein zweigeteiltes Wesen. Die pharmazeutische Industrie kann derzeit konjunkturell grundsätzlich Kurs halten: Bis Juni legen die Produktpreise um knapp 3 Prozent zu, die Umsätze steigern sich um 6 Prozent. Einzig die Produktion stagniert in der ersten Jahreshälfte auf dem Niveau des Vorjahreszeitraums.

Gänzlich anders hingegen präsentiert sich der Bereich der klassischen Chemie. In den ersten sechs Monaten unterschreitet sie das Produktionsniveau des Vorjahres um gut 2 Prozent, die Produktpreise geben um über 5 Prozent nach. Die nominalen Folgen sind deutlich. Um über 10 Prozent liegen die Umsätze bis einschließlich Juni unter ihrem Wert aus dem Vorjahr.

Diese stark gegensätzlichen Entwicklungen führen in Summe dazu, dass der wirtschaftliche Erholungsprozess in Hessen seit den tiefen Stürzen der Jahre 2022 und 2023 lediglich in minimalem Tempo voranschreitet. Am wahrscheinlichsten erscheint derzeit, das die Chemie- und Pharmaindustrie in Bezug auf die Produktion die Ausbringungsmenge des Vorjahres erreicht. Die immense Produktionslücke zum Jahr 2021, geschweige denn zum Corona-Vorkrisenjahr 2019 bliebe dann aber weiterhin bestehen.

Eine schnelle Erholung wird ausbleiben

Die Aussichten auf eine deutlich zunehmende wirtschaftliche Dynamik sind indes gering. Die weiterhin schwache Weltwirtschaft hält die Auslandsnachfrage dauerhaft gering und belastet fortgesetzt das Exportgeschäft. Der deutliche Preisauftrieb in der deutschen Gesamtwirtschaft hat darüber hinaus zu einer spürbaren Dämpfung der Investitionstätigkeit im Inland beigetragen. Die Bauindustrie und die Rezession, in die sie gestürzt ist, sind in diesem Zusammenhang das prominenteste Beispiel.

Verstärkt werden diese beiden Probleme durch den grundlegenden Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in der deutschen Industrie. Insbesondere stark gestiegene Energiepreise, sowie höhere Rohstoff-, Material- und Arbeitskosten, aber auch grundlegende infrastrukturelle Probleme haben zu deutlichen Nachteilen gegenüber der internationalen Konkurrenz geführt.

Der in diesem Zusammenhang sehr unklare wirtschaftspolitische Kurs der Bundesregierung, mitunter gerade auf den Feldern der Energiepolitik, aber auch des Bürokratieabbaus, trägt ein Übriges zur derzeit schwierigen Wirtschaftslage bei. An dieser Stelle wäre ein entschiedenes, nachvollziehbares und verlässliches politisches Handeln so wichtig wie nie.

Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete Anfang September die Chemieindustrie als Basis des bisherigen Erfolgs Deutschlands als Industrienation. Es bleibt zu hoffen, dass der politische Betrieb sich der Tragweite dieser Erkenntnis endlich bewusst wird – und danach handelt.


Weitere Informationen


Regelmäßige Informationen zur wirtschaftlichen Situation enthält der verbandseigene Konjunkturbericht „konjunktur.kompakt“, der monatlich zur konjunkturellen Entwicklung der Chemie- und Pharmaindustrie berichtet. Es ist im Bereich Beschäftigung und Arbeitsmarkt der Publikationen von HessenChemie jederzeit abrufbar – auch in englischer Sprache.

Ruben Höpfer

Ruben Höpfer ist Diplom-Volkswirt und seit 2011 bei HessenChemie als Referent Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaftsstatistik tätig. Zuvor war er Referent eines Industrie- und Arbeitgeberverbandes. Seine Kernkompetenzen liegen im Bereich der Analyse und Bearbeitung wirtschaftlicher, wirtschaftsstatistischer und arbeitsmarktpolitischer Fragen, insbesondere in Bezug auf tarifpolitische Auswirkungen für Unternehmen.

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