The Times, They Are a-Changin‘ – Ein wirtschaftlicher Ausblick auf 2025

Kehrtwende der deutschen Finanzpolitik

Mit dem jüngst verabschiedeten Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastruktur, welches über zwölf Jahre bis zum Jahr 2037 laufen wird, hat der deutsche Staat eine massive finanzpolitische Kehrtwende vollzogen. Und als sei dies allein nicht bereits historisch genug, erlebt auch die im Jahr 2009 eingeführte Schuldenbremse eine einschneidende Zäsur.

So fallen künftig alle Verteidigungsausgaben des Bundeshaushalts, die über einem Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, nicht mehr unter die Verschuldungsregeln des Grundgesetzes. Und die Bundesländer dürfen in Summe künftig, wie der Bund, pro Jahr Kredite von bis zu 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufnehmen.

Dieser neue Kurs der deutschen Finanzpolitik ist insbesondere zwei grundlegenden Entwicklungen geschuldet, in Gestalt der bislang größten Strukturkrise der deutschen Wirtschaft seit Ende des zweiten Weltkriegs, sowie der dringend notwendigen Neuausrichtung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, auch bedingt durch die unübersehbare politische Abkehr der USA vom alten Kontinent.

Viel allein hilft nicht viel

Doch was kann dieser finanzielle Rundumschlag tatsächlich bewirken?

Die Lockerung der Schuldenbremse und das zusätzliche Geld werden es dem Staat nur dann erlauben, sinnvoll in Rüstung und bessere Infrastruktur zu investieren, wenn die neue Bundesregierung Strukturreformen von ähnlich historischer Dimension auf den Weg bringen wird.

An dieser Stelle braucht es daher vor allem eine handlungsfähige, effiziente Verwaltung, mit erheblich kürzeren Planungs- und Genehmigungsverfahren, deutlich weniger komplizierten Standards und einer massiv erhöhten Digitalisierung. Die deutsche Wirtschaft muss schlichtweg (wieder) in der Lage zu sein, getroffene Investitionsentscheidungen umgehend in die Tat umsetzen zu können. Ein nachhaltiger Bürokratieabbau, auch in Form einer spürbaren Entschlackung der Dokumentations- und Berichtspflichten für die Unternehmen, ist daher im Interesse aller Beteiligten zwingend notwendig, um die zuletzt abnehmende Investitionsneigung wieder zu stärken.

Eng verbunden mit der Verbindung der Erhöhung der Umsetzungsgeschwindigkeit ist das Thema der Fachkräftesicherung, da ein sinkendes oder zu geringes Arbeitsangebot zu einer essentiellen Hürde werden kann.  Die Politik wird an dieser Stelle ebenfalls mehrere Ansätze diskutieren müssen, wie beispielsweise eine allgemeine Erhöhung der Arbeitsanreize, die systematische und konsequente weitere Förderung von qualifizierter Zuwanderung, oder wie Menschen zu einem längeren Verbleib im Erwerbsleben motiviert werden können. Dem Bürokratieabbau kommt gerade im Hinblick auf eine effiziente Zuwanderungspolitik an dieser Stelle erneut eine entscheidende Rolle zu.

Gleichzeitig kämpft die deutsche Wirtschaft mit hohen Belastungen in den Bereichen Energie, Steuern und Sozialabgaben, welche die Wettbewerbsfähigkeit spürbar untergraben haben. Ohne Reformen, die vor allem auf den Feldern der Renten-, Pflege- und Krankenversicherung stabile und demografieresistente Ausgaben erreicht, drohen die nun zur Verfügung stehenden Finanzmittel mittelfristig als Einmaleffekt zu verpuffen, ohne dass ihnen dann eine gestärkte Wirtschaftsleistung gegenüber steht, aus der sich die künftige Rückzahlung heute beschlossener Kredite finanzieren lässt. Niedrigere Energiepreise und eine Umformung der Unternehmensbesteuerung bilden darüber hinaus ebenso wichtige Bausteine für eine nachhaltige Verbesserung des deutschen Standorts.

Die Perspektiven für die chemisch-pharmazeutische Industrie in Hessen

Das Wiederherstellen einer wettbewerbsfähigen Energie-, Steuer- und Sozialpolitik, das Zurückschneiden der überbordenden Bürokratie und die nachhaltige Sicherung von Fachkräften – auch für die hessische Chemie- und Pharmabranche sind dies entscheidende externe Faktoren, zur Überwindung ihrer mehrjährigen Strukturkrise.

Dies ist dringend nötig, denn auch im abgelaufenen Jahr 2024 standen die konjunkturellen Zeichen insgesamt auf Stillstand, wobei der wirtschaftliche Spagat zwischen den Sparten der klassischen Chemie und der Pharmaindustrie immer breiter wird. Während die klassische Chemie in Bezug auf Produktion, Preise und Umsätze weiterhin geschrumpft ist, konnte die Pharmasparte im letzten Jahr erneut Zuwächse verbuchen. Der Ausblick für dieses Jahr bleibt indes aber sehr verhalten.

Wirtschaftspolitik hat Grenzen

Das hängt jedoch auch damit zusammen, dass nicht sämtliche Probleme der deutschen Industrie, als Hauptabnehmerin chemisch-pharmazeutischer Produkte, allein mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen gelöst werden können.

Tatsächlich steht der deutsche Industriesektor auch vor der Herausforderung, sich im internationalen Wettbewerb an eine grundlegend veränderte Angebots- und Nachfragestruktur mit neuen Konkurrenten in angestammten Produktbereichen anpassen zu müssen. Hinzu tritt eine zunehmend freihandelsfeindliche Wirtschaftspolitik auf bislang wichtigen Exportmärkten, die das lange Jahre erfolgreiche Handelsmodell, auch der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Hessen, ernsthaft in Frage stellt. Somit ist es recht wahrscheinlich, dass auch das Jahr 2025 für die Chemie- und Pharmaunternehmen nicht von einer nachhaltigen Erholung geprägt sein wird.

Dennoch kann dieses Jahr einen Wendepunkt für die Branche bedeuten, die immer wieder gezeigt hat, wie wandlungsfähig und innovativ sie sein kann. Es ist nicht auszuschließen, dass am Ende dieser Anpassung eine ebenso umfassende wirtschaftliche Neuausrichtung stehen wird, wie bei den politischen Entwicklungen der jüngsten Tage. Und dass genau diese Neuausrichtung die Grundlage für neues und nachhaltiges Wachstum bilden wird.

Die deutsche Wirtschaft, und mit ihr auch die chemisch-pharmazeutische Industrie, das ist die wichtigste Botschaft, muss sich nicht abschreiben.

Sie muss sich nur etwas umschreiben.

The Times, They Are a-changin‘.


Weitere Informationen


Regelmäßige Informationen zur wirtschaftlichen Situation enthält der verbandseigene Konjunkturbericht „konjunktur.kompakt“, der monatlich zur konjunkturellen Entwicklung der Chemie- und Pharmaindustrie berichtet. Es ist im Bereich Beschäftigung und Arbeitsmarkt der Publikationen von HessenChemie jederzeit abrufbar – auch in englischer Sprache.

Ruben Höpfer

Ruben Höpfer ist Diplom-Volkswirt und seit 2011 bei HessenChemie als Referent Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaftsstatistik tätig. Zuvor war er Referent eines Industrie- und Arbeitgeberverbandes. Seine Kernkompetenzen liegen im Bereich der Analyse und Bearbeitung wirtschaftlicher, wirtschaftsstatistischer und arbeitsmarktpolitischer Fragen, insbesondere in Bezug auf tarifpolitische Auswirkungen für Unternehmen.

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