Fachkräftesicherung – Neue Wege in der Ausbildung nutzen

Ein Gastbeitrag von Dr. Udo Lemke und Petra Esch

Der ausgeprägte Fachmangel in Deutschland macht vielen Unternehmen große Sorgen: Studien zufolge entscheiden sich immer weniger junge Menschen nach der Schule für eine duale Ausbildung. Gleichzeitig verliert der Arbeitsmarkt durch die demografische Entwicklung viele Fachkräfte. Dies gilt für die chemische Industrie genauso wie für das Handwerk. Daher sollten wir uns alle fragen, mit welchen Konzepten wir junge Menschen für einen Ausbildungsberuf gewinnen und begeistern können. Wir bei Provadis sind davon überzeugt, dass es sich beispielsweise lohnt, durch innovative Ausbildungsmodelle weitere Potenziale zu erschließen. Um Menschen besser zu integrieren, die nicht so gute Karten für die Arbeitswelt in der Hand halten, sind neue Wege und Konzepte nötig.

2020 haben wir im Rahmen des vom BMBF geförderten Chemiebranchenprojekts InnoVET BBChemie (Bedarfsorientierte Bildungswege in der Chemie) ein Modellprojekt für den Berufszweig der Metallberufe an den Start gebracht: Mit einem neuen Konzept wird technisch interessierten Jugendlichen mit praktisch orientierten Potenzialen, aber Schwächen im Wissensbereich, ein direkter Ausbildungseinstieg ermöglicht.

Intensive Lernbegleitung als Schlüssel zum Erfolg

Was ist das Besondere an diesem Pilotprojekt? Kern des Qualifizierungsangebots ist die intensive pädagogische Betreuung der Auszubildenden von Anfang an. Oft ist bei den Jugendlichen die eigene Erwartungshaltung in Bezug auf das theoretische Wissen recht niedrig und eine gewisse Lernmüdigkeit festzustellen. Eine Lernprozessbegleiterin motiviert die angehenden Metallfachkräfte für die notwendigen Theorieeinheiten und unterstützt sie beim Lernen. Die Praxisphasen in den Betrieben sorgen für einen großen Motivationsschub und die Lernbereitschaft der Auszubildenden steigt. Denn wenn sie verstehen, wozu sie etwas lernen sollen, fällt es ihnen leichter.

Enger Austausch zwischen allen Ausbildungsbeteiligten

Die Jugendlichen profitieren enorm von der besonderen individuellen Lernunterstützung: Im engen Austausch zwischen allen Ausbildungsbeteiligten der verschiedenen Lernorte wird der individuelle Lernbedarf ermittelt. In einem wöchentlichen berufspädagogischen Seminar setzen sich die Auszubildenden aktiv mit ihrem Lernverhalten auseinander und haben zusätzlich die Gelegenheit, ihre Lernzeit eigenständig zu gestalten. Dabei können sie Inhalte gemeinsam vertiefen und Fragen untereinander klären. Für den Fachausbilder sowie die betrieblichen Ausbildenden übernimmt eine Lernprozessbegleiterin eine Beratungsfunktion. Sie tauscht sich mit ihnen unter anderem über neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung aus. Im Gegensatz zu anderen Programmen sind Fachausbilder und Lernprozessbegleiterin als konstante Ansprechpartner im Ausbildungsalltag in der Werkstatt vor Ort.

Foto: Provadis

Das Modell zeigt erste Erfolge

Sieben junge Männer werden im Sommer die zweijährige Ausbildungszeit zur Fachkraft für Metalltechnik in Zusammenarbeit mit Infraserv Höchst, Standortbetreibergesellschaft des Industrieparks Höchst, abschließen. Bei einer erfolgreichen Prüfung geht es für fünf der Auszubildenden weiter in eine anschließende anderthalbjährige Ausbildung zum Industriemechaniker, zwei werden planmäßig als Metallfachkräfte arbeiten. Eine zweite Gruppe mit fünf Auszubildenden hat im September 2022 in Kooperation mit zwei mittelständischen Unternehmen im Pilotprojekt die Ausbildung zur Fachkraft für Metalltechnik begonnen. Dabei bildet ein Unternehmen erstmals im System der dualen Berufsausbildung aus. Bisher wurden Fachkräfte im Direkteinstieg beschäftigt.

Mehraufwand zahlt sich aus

Das Modellprojekt bedeutet zwar für alle Beteiligten einen Mehraufwand, aber dieser zahlt sich aus – das ist auch die Rückmeldung der Verantwortlichen in den Partnerunternehmen. Sie gewinnen auf diese Weise Fachkräfte, die besonders praxisorientiert sind und die sie sonst vermutlich nicht hätten rekrutieren können. Die Möglichkeit, auch Jugendlichen mit schwächeren Schulnoten eine Chance zu geben und sie durch die Lernunterstützung zu fördern, wird sehr positiv bewertet.

Das Modellprojekt BBChemie zeigt, dass sich die Konzentration auf die fachliche und persönliche Seite der Auszubildenden auszahlt. Wichtig ist aber auch, parallel dazu stärker auf die pädagogische Kompetenz der Ausbilder in Unternehmen zu achten und sie zu Mentoren und Coaches zu entwickeln. Das Modellprojekt BBChemie bietet im Rahmen eines weiteren Teilprojektes die Qualifizierung der ausbildenden Fachkräfte im Unternehmen an. Über die HessenChemie Akademie wird im Frühjahr 2024 dazu eine modulare Veranstaltungsreihe angeboten. Die Veranstaltungen wenden sich an alle ausbildenden Fachkräfte, nicht nur die im Umgang mit der oben beschriebenen Zielgruppe betraut sind.

Wie geht es weiter?

Ziel ist es, die Erfahrungen aus dem Teilprojekt Ermöglichungsstrategien in der Ausbildung in Abstimmung mit den Chemie-Sozialpartnern langfristig auszuwerten und darauf aufzubauen. Dabei geht es einerseits um die Implementierung der Erfahrungen in die reguläre Ausbildung und andererseits um Fragen der Finanzierung der intensiven sozialpädagogischen Betreuung für besondere Zielgruppen. Außerdem könnte das Modell auf andere zweistufige Ausbildungen innerhalb und außerhalb der Branche erweitert werden: Denkbar wäre das etwa für Fachlagerist mit der Option Fachkraft für Lagerlogistik.

Weitere Informationen zum Pilotprojekt von BBChemie und einen Film finden Sie hier:

Karrierechance statt Warteschleife – BMBF InnoVET (inno-vet.de)

www.provadis.de/provadis-gruppe/bildungsprojekte/bedarfsorientierte-bildungswege-in-der-chemie/

www.youtube.com/watch?v=0HuX4RIabzE


Die Autoren


Geschäftsführer

Dr. Udo Lemke, Provadis Partner für Bildung und Beratung GmbH

Projektleiterin InnoVET BBChemie

Petra Esch, Provadis Partner für Bildung und Beratung GmbH

Foto Titelbild: iStock

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