Von Feedback zu Fortschritt: Exit-Interviews als Kultur-Tool

In einem dynamischen Arbeitsmarkt sind Fluktuation und Personalwechsel unvermeidlich. Auch die von uns geführte Krankenstand- und Fluktuationsstatistik der hessischen Chemieunternehmen zeigt, dass die Quote freiwilliger Kündigungen – ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau von etwas über einem Prozent – in den letzten zehn Jahren kontinuierlich angestiegen ist (genauere Zahlen dazu in unserem Mitgliederbereich auf der Themenseite Betriebliche Fehlzeiten).

Entscheidend ist aber nicht, ob es Fluktuation gibt. Viel wichtiger ist, ob das Arbeitsverhältnis in dieser Situation einfach abgewickelt oder ob der Weggang als Entwicklungschance für die ‚zurückbleibende‘ Organisation genutzt wird. Wer die wertvollen Informationen aus solchen Austritten nutzen will, sollte dafür Exit-Interviews in Erwägung ziehen.

Was sind Exit-Interviews?


Exit-Interviews sind strukturierte Gespräche, die zwischen den ausscheidenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie dem Unternehmen geführt werden. Diese Gespräche finden in der Regel kurz vor dem endgültigen Ausscheiden der betreffenden Person statt und dienen dazu, ein möglichst ehrliches Feedback zu den Gründen des Ausscheidens sowie zu den allgemeinen Erfahrungen und Wahrnehmungen im Unternehmen zu erhalten.


Die Grundidee der Exit-Interviews ist also recht einfach; gerade weil das Arbeitsverhältnis kurz vor der Auflösung steht, können die Aussagen in diesem Rahmen authentischer ausfallen als es sonst vermutlich der Fall wäre. Und auch die Ableitungen, die sich daraus ergeben, sind einleuchtend.

Beispiel 1: Nach mehreren Austritten fällt auf, dass sich viele Äußerungen zu den Austrittsgründen auf mangelnde Work-Life-Balance und unzureichende Entwicklungsmöglichkeiten beziehen. Das Unternehmen beschließt daraufhin, flexible Arbeitszeitmodelle einzuführen und ein umfassendes Weiterbildungsprogramm zu entwickeln. Ein Jahr später zeigen Mitarbeiterbefragungen einen deutlichen Rückgang der Fluktuation und eine höhere Zufriedenheit.

Beispiel 2: Es werden regelmäßige Auswertungen der Exit-Interviews durchgeführt und quartalsweise der Geschäftsführung vorgelegt. Diese Praxis hat zur Einführung eines Mentoring-Programms geführt, das speziell darauf abzielt, neue Mitarbeitende besser zu integrieren und zu fördern. Die positiven Auswirkungen dieser Maßnahme sind anhand gesunkener Zahlen zur Frühfluktuation (Early / New Hire Turnover) deutlich spürbar.

Eine konsequente Weiterverfolgung und Umsetzung der aus den Exit-Interviews gewonnenen Erkenntnisse hat daher klare Vorteile für den Arbeitgeber, wenn dadurch eine zu hohe oder unerwünschte Fluktuation vermieden werden kann.

Research has shown that high turnover predicts low performance and that an organization with turnover lower than its competitors’ can be at a considerable advantage—particularly if it retains its top performers.

Spain/Groysberg – Making Exit Interviews Count

Quelle: Shutterstock

Gestaltung im Detail beachten

Doch ganz so einfach, wie es scheint, ist die Handhabung von Exit Interviews nicht. Das zeigen die folgenden Fragen.

  • Sollen alle Austritte in die Befragung einbezogen werden oder nur die freiwilligen?
  • Ist das gewonnene Feedback so konkret (in der Beschreibung, in der Darstellung des Kontexts), dass es geeignet ist, um daraus Maßnahmen abzuleiten?
  • Welche Rolle spielt bei den Antworten die Tatsache, dass für einige eine Rückkehr zum früheren Arbeitgeber eine Option darstellt?
  • Wie geht man damit um, dass manche Personen auch nach ihrem Ausscheiden um jeden Preis ihr Gesicht oder ein bestimmtes Image wahren wollen?
  • Wie kann ein konstruktiver Ton und die Konzentration auf Lösungsvorschläge im Gespräch aufrechterhalten werden?
  • Sind Exit-Interviews die einzige Feedback-Möglichkeit, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung steht?

Es ist also immer auch der einzelne Fall zu berücksichtigen bzw. das Fingerspitzengefühl des Interviewers ist gefragt, um verwertbare Eindrücke zu bekommen und sich bewusst zu sein, dass es immer eine individuelle Sichtweise ist, mit der man es in diesen Interviews zu tun hat. Werden diese Voraussetzungen bedacht, kann ein Einblick in folgende Aspekte gelingen:

Warum sind Exit-Interviews wichtig?

  • Erkenntnisse über Abgangsgründe: Ein Hauptziel ist es, die genauen Gründe für den Austritt zu verstehen. Dies kann von Gehaltsfragen über mangelnde Aufstiegschancen bis hin zu zwischenmenschlichen Konflikten reichen. Ein klares Bild über die Ursachen kann helfen, systematische Probleme zu identifizieren und anzugehen.
  • Feedback zur Unternehmenskultur: Scheidende Mitarbeiter sind oft bereit, ehrlicher über die Unternehmenskultur zu sprechen als aktive Angestellte. Diese Einsichten sind wertvoll, um die Arbeitsumgebung zu verbessern und eine positive Unternehmenskultur zu fördern.
  • Verbesserungspotentiale identifizieren: Die gesammelten Informationen bieten konkrete Anhaltspunkte, wo Prozesse, Strukturen oder Führungskompetenzen verbessert werden können. Beispielsweise könnten wiederholte Hinweise auf mangelnde Weiterbildungsmöglichkeiten oder ineffiziente Arbeitsabläufe wichtige Handlungsfelder offenlegen.
  • Wertschätzung zeigen: Exit-Interviews signalisieren den Mitarbeitern, dass ihre Meinung geschätzt wird, selbst wenn sie das Unternehmen verlassen. Dies kann helfen, das Employer Branding zu stärken und das Ansehen des Unternehmens als fairer und fürsorglicher Arbeitgeber zu fördern.

Wie sollten Exit-Interviews durchgeführt werden?

Es gibt mehrere Faktoren, die den Erfolg eines Exit-Interviews beeinflussen können. Zu berücksichtigen sind beispielsweise:

  1. Auswahl der Gesprächsführung: Es könnte hilfreich sein, dass das Gespräch nicht vom direkten Vorgesetzten, sondern von einer neutralen Person, z.B. von Human Resources, geführt wird. Dies fördert die Offenheit und Ehrlichkeit des Interviewten.
  2. Struktur und Vorbereitung: Ein gut strukturierter Fragebogen hilft, alle relevanten Themen abzudecken und systematisch auszuwerten. Beispiele für Fragen sind: „Was hat Ihnen an Ihrer Arbeit am besten gefallen“ oder „Welche Verbesserungsvorschläge haben Sie?“.
  3. Vertraulichkeit zusichern: Die Zusicherung von Vertraulichkeit ist unerlässlich, um ehrliche und möglichst unverfälschte Antworten zu erhalten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten wissen, dass ihr Feedback anonymisiert und nicht gegen sie verwendet wird.
  4. Aktives Zuhören und Nachfragen: Ein erfolgreiches Exit-Interview erfordert aktives Zuhören und Nachfragen, um tiefere Einblicke zu gewinnen. Bei allem geht es darum, die Perspektive und Beweggründe der ausscheidenden Person möglichst umfassend zu verstehen.

Das richtige Timing für Exit-Interviews

Neben den genannten Punkten ist vor allem der Zeitpunkt des Exit-Interviews entscheidend für dessen Erfolg. Idealerweise findet das Exit-Interview in der letzten Arbeitswoche statt, möglichst nicht am allerletzten Tag. Ein zu frühes Interview kann wichtige Informationen verpassen, die in den letzten Arbeitstagen relevant werden. Umgekehrt kann ein Gespräch am letzten Tag weniger ergiebig sein, da der/die Betroffene mit ihrer Arbeit gedanklich bereits abgeschlossen hat und weniger motiviert ist, ein ausführliches Feedback zu geben. Sofern ein Arbeitszeugnis ausgestellt wird, spielt dieses ebenfalls eine Rolle bei der Wahl des richtigen Zeitpunkts, d.h. das Interview sollte nicht vor der Übergabe des Zeugnisses angesetzt werden.

Ein ungünstiger Zeitpunkt wäre auch direkt nach der Bekanntgabe des Ausscheidens. In dieser Phase könnten die Emotionen noch zu stark sein und das Feedback weniger objektiv ausfallen. Es ist wichtig, dass die ausscheidende Person Zeit hat, über ihre Entscheidung nachzudenken und ein konkretes und durchdachtes Feedback zu geben.

Mögliche Fragen für ein Exit-Interview

Frage Ziel
Warum haben Sie sich entschieden, das Unternehmen zu verlassen? Verstehen der Hauptgründe für den Austritt
Was hat Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten gefallen? Positive Aspekte und mögliche Stärken des Unternehmens identifizieren
Was hat Ihnen an Ihrer Arbeit am wenigsten gefallen? Bereiche mit Verbesserungsbedarf ermitteln
Hatten Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit angemessen gewürdigt wurde? Feedback zur Anerkennung und Wertschätzung im Unternehmen erhalten
Wie würden Sie die Unternehmenskultur beschreiben? Einblicke in die allgemeine Atmosphäre und Kultur des Unternehmens gewinnen
Hatten Sie ausreichend Entwicklungsmöglichkeiten? Beurteilung der beruflichen Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten
Gab es zwischenmenschliche Konflikte, die Ihren Austritt beeinflusst haben? Identifizierung potenzieller Konfliktbereiche und deren Ursachen
Haben Sie Vorschläge, wie wir das Arbeitsumfeld verbessern könnten? Konkrete Vorschläge zur Verbesserung des Arbeitsumfelds sammeln
Würden Sie das Unternehmen als Arbeitgeber weiterempfehlen? Einschätzung der Arbeitgeberattraktivität und der Weiterempfehlungsbereitschaft
Gibt es sonst noch etwas, das Sie uns mitteilen möchten? Raum für zusätzliche Kommentare und Feedback

Fazit

Exit-Interviews sind ein Instrument, das Personalverantwortliche kennen sollten. Die Grundidee ist einfach, die Umsetzung erfordert jedoch etwas Überlegung und Fingerspitzengefühl. Gelingt dies, können aus den Erfahrungen der ausscheidenden Mitarbeitenden wertvolle Erkenntnisse gewonnen und systematische Verbesserungen der Unternehmenskultur, der Arbeitsabläufe und -prozesse angestoßen werden, die sonst nicht hinterfragt werden.

Durch die sorgfältige Durchführung und Auswertung dieser Interviews kann ein Unternehmen nicht nur die Fluktuation reduzieren, sondern auch das Engagement, die Zufriedenheit und die Produktivität der verbleibenden und zukünftigen Mitarbeitenden und Talente steigern. Nutzen Sie diese Chance zur kontinuierlichen Verbesserung Ihres Unternehmens und positionieren Sie sich als attraktiver Arbeitgeber mit einer funktionierenden Feedbackkultur!

Clemens Volkwein

Clemens Volkwein

Clemens Volkwein ist Demografieberater für die hessischen Unternehmen aus Chemie, Pharma und Kunststoffverarbeitung. Hysterie in der Demografie-Debatte hält er für überflüssig, gute Ideen hingegen nicht, wie sich die Alterung und Schrumpfung unserer (berufstätigen) Bevölkerung positiv gestalten lassen.

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