Damit Wissen und Erfahrung nicht in Rente gehen

Keine PowerPoint-Präsentation zu betrieblichen Demografie-Projekten ohne das Buzzword ‚Wissenstransfer‘. Was sich dahinter an Ideen und Konzepten verbirgt ist aber oftmals recht dünn. Deshalb möchte ich meine kleine Reihe zum Rentenübergang mit einem Konzept zum Wissenstransfer abschließen, das diese Bezeichnung wirklich verdient. 

Wissen erhalten, Kompetenzen sichern, Erfahrungen behalten – mit diesen Themen setzt sich Nova.PE auseinander, ein systematischer Prozess zum Wissenstransfer. ‚Sozialingenieur‘ Jürgen Büscher ist mein Gesprächspartner.

Implizites Wissen ist schwer transferierbar

Herr Büscher, dokumentiertes Wissen ist leicht transferierbar, implizites Wissen kann nicht aus den Köpfen geholt werden. Was entgegnen Sie insbesondere der zweiten Aussage?

Unter implizitem Wissen versteht man Handlungs- und Erfahrungswissen, über das wir wie selbstverständlich verfügen. Selber kann man oft gar nicht genau erklären, warum eine Handlung genau so und nicht anders durchführt werden muss. Wird man allerdings – zum Beispiel von einem Transfercoach  – aufgefordert dieses Selbstverständliche zu erklären, kommt dieses Wissen ans Licht. Nehmen Sie beispielsweise einen Experten für eine komplexe Maschine; dieser hört oder fühlt, dass etwas mit „seiner“ Maschine nicht stimmt und kreist die Störung intuitiv ein – für ihn völlig normal.

Wie kommt es überhaupt, dass Wissenstransfer für immer mehr Unternehmen zu einem Thema wird? Und warum nicht einfach eine Beratungsgesellschaft oder ein soziales Netzwerk für Seniorexperten gründen?

Ich sehe zwei Gründe – der eine ist der sogenannte „Lean-Effekt“: Während vor zehn Jahren Experten-Funktionen häufig noch mehrfach besetzt und längere Überlappungszeiten beim Stellenwechsel die Regel waren, sind Organisationen heute meist schlank aufgestellt. Scheiden in schlanken Organisationen Experten aus, hat dies tiefgreifende Folgen für die Stabilität von Prozessen und Qualität.

Der zweite Faktor ist die betriebliche Demografie. Durch das Ausscheiden der geburtenstarken Baby-Boomer wird der erste Effekt vervielfacht. Ein Netzwerk oder eine Gesellschaft für Seniorexperten kann eine sinnvolle Einrichtung sein, da Seniorexperten kurzfristig weiterhin mit Erfahrungs-Know-how aushelfen – die geschilderte Herausforderung wird dadurch aus meiner Sicht aber nicht gelöst, sondern auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Risiken eines Know-how-Verlusts

Jürgen Büscher arbeitet am Unsichtbaren – er transferiert Wissen

Welchen Risiken beugt ein Wissenstransferprozess vor bzw. welche betrieblichen Herausforderungen werden dadurch gelöst?

Der Wissenstransprozess beugt dem Risiko vor, durch den Wechsel oder die Rente von erfahrenen Fach- und Führungskräften erfolgskritisches Know-how zu verlieren. Oft, so meine Erfahrung, ist den Verantwortlichen bis zum letzten Arbeitstag des Wissensträgers gar nicht bewusst, welche Prozesse und Produkte durch diesen Wegfall an Wissen betroffen sind – sie begeben sich in eine Art Blindflug und hoffen sanft zu landen.

Der Einsatz eines strukturierten Prozesses zum Wissenstransfer sollte also nur dort erfolgen, wo damit schwer zu kalkulierende oder gravierende Geschäftsrisiken abgesichert werden. Ziel des Wissenstransferprozesses ist es dem Unternehmen die Möglichkeit zu geben, dieses erfolgskritische Wissen strategisch sichtbar und operativ handhabbar zu machen.

Können Sie kurz beschreiben, wie eine Wissensübergabe mit Nova.PE abläuft?

Im ersten Schritt soll die Führungskraft einschätzen, was passiert wenn der Wissensträger im  Lotto gewinnen und morgen nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Wo würde dem Unternehmen a) hohe fachliche Expertise fehlen, die b) exklusiv bei diesem Mitarbeiter liegt und c) die heute und zukünftig für Prozesse und Produkte wichtig ist bzw. sein wird? Dem Wissensträger wird auf Grundlage dieser Einschätzung glaubhaft Wertschätzung für sein Lebenswerk ausgesprochen und er erhält die Möglichkeit mit einem Transfercoach einen Wissensbaum zu erstellen, der sein berufliches Lebenswerk zusammenfasst. Das kann dann so aussehen:

Blüht nur im Land des Wissens: Der Wissensbaum als Ausdruck eines beruflichen Lebenswerks

Anschließend werden von der Führungskraft die Transferthemen ausgewählt und priorisiert, sowie der oder die Wissensnehmer benannt, denn oftmals wird die Stelle gar nicht neu besetzt und das verbleibende Team muss die betreffende Aufgabe fortführen.

Abschließend wird ein Transferplan erarbeitet, der festlegt, in welchen Schritten der Wissensnehmer sich die Aufgabe erarbeiten soll, was und wen er dazu kennen muss usw. Wichtig ist hierbei, dass der Wissensnehmer sich das Know-how mit den eigenen Methoden und Stärken erarbeitet. Ein reines Kopieren der Arbeitsweise des Vorgängers würde ihn demotivieren, zum anderen sollte jeder Wechsel auch als Chance für Innovation und Weiterentwicklung genutzt werden.

Bereitschaft zur Wissensweitergabe

Wer Wissen abgibt verliert Macht und Einfluss und bekommt nichts dafür zurück. Warum sollten ältere Mitarbeiter sich freiwillig auf den ‚Wissens-Deal‘ einlassen?

Die größte Herausforderung innerhalb des Wissenstransferprozesses ist es, dem Wissensträger die eigene fachliche und persönliche Wertigkeit bewusst zu machen – nur so kann er zum Wissengeber werden. Ohne aufrichtige Wertschätzung seiner fachlichen Lebensleistung wird ein solches Vorhaben scheitern. Die Angst, bald nicht mehr fachlich gebraucht zu werden, muss durch die Bereitschaft ersetzt werden, das Erreichte in gute Hände weitergeben zu können.

Ein zweiter wichtiger Aspekt ist, dass der „Wissens-Deal“ immer in beide Richtungen läuft. Da der Wissensnehmer die Methoden, wie z.B. ein fachliches Problem in der Vergangenheit gelöst wurde, nicht einfach kopiert, sondern für sich variiert und optimiert, bekommt auch der Wissensgeber die Chance seine „traditionelle“ Vorgehensweise zu hinterfragen und sich somit weiterzuentwickeln. Für Lesehungrige abschließend noch eine Publikation zu Wissensbewahrung und Wissenstransfer:

Clemens Volkwein

Clemens Volkwein

Clemens Volkwein ist Demografieberater für die hessischen Unternehmen aus Chemie, Pharma und Kunststoffverarbeitung. Hysterie in der Demografie-Debatte hält er für überflüssig, gute Ideen hingegen nicht, wie sich die Alterung und Schrumpfung unserer (berufstätigen) Bevölkerung positiv gestalten lassen.

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