Ein neues Auswahlverfahren für Azubis

Provadis hat etwas Ausgezeichnetes gemacht. Ein neues Auswahlverfahren. Provadis, das ist für uns ein spezielles Mitgliedsunternehmen, denn Provadis produziert im Kerngeschäft keine Autolacke, Wassersprudler oder Insulin, sondern – wenn ich das so sagen darf – Fachkräfte für die Industrie.

Und als ‚Fachkräfteentwickler für die Industrie‘ – übrigens auch über die Industrieparks hinaus – hat Provadis die Demografie für sich heruntergebrochen. Das heißt, die demografischen Auswirkungen auf das eigene Geschäft wurden analysiert – mit Konsequenzen! Nicht im Abstrakten und Ungefähren, sondern dort wo die eigene Kompetenz sitzt – das ist nicht nur, aber auch die Ausbildung von Fachkräften.

Ein Resultat dieser Überlegungen nennt sich kompensatorisches Modell – ein etwas ungewöhnlicher Name für eine eigentlich ganz eingängige Idee – dazu weiter unten mehr. Das Besondere ist, dass Provadis für ein solches Vorgehen vor 10 bis 15 Jahren vermutlich noch keine dringliche Notwendigkeit gesehen hätte. Wir erinnern uns: Damals gab es Bewerber in Hülle und Fülle. Auch die Qualität der abgeforderten Noten bzw. Qualifikationen war besser. Recruiters Paradise. Arbeitgebermarkt. Gute alte Zeit.

Vorbei – oder zumindest haben sich die Zeiten etwas geändert.

Die Demografie wirkt, der Bewerbermarkt schrumpft

Denn der Bewerbermarkt schrumpft. Das Absinken der Geburtenrate in den 70er Jahren war dafür bereits ursächlich. Heute kommen – Achtung verquere Logik – die nicht gezeugten Kinder auf dem Arbeitsmarkt an. Neben dem Treiber Demografie trägt auch ein verändertes Berufswahlverhalten zu diesem Befund bei, weg von der Haupt- und Realschule, hin zum Fach- und Allgemeinbildenden Abitur. Die entsprechend ‚höheren‘ Ambitionen nach dem Schulabschluss stellen die Ausbildung immer öfter ins Abseits. Besonders in handfesten Berufen sinkt die Bewerbernachfrage, z.B. in der Produktion, Technik oder dem Lager.

Aus der gleichzeitigen Wirkung beider Trends entsteht Druck. Bei Provadis wird dieser Druck mit dem Begriff ‚Bewerberlücke‘ beschrieben:

bewerberluecke

Für alle, die sich jetzt vielleicht verwundert die Augen reiben: Sie lesen richtig. Konnte Provadis bisher aus ca. 10.000 Bewerbungen ungefähr 400 aussichtsreiche KandidatInnen auswählen, wird prognostiziert, dass künftig „nur noch“ 6.500 Bewerbungen die Grundgesamtheit stellen. Sie werden fragen: Ist das nun schon echte Not oder einfach Jammern auf hohem Niveau?

Warum die Bewerberlücke dennoch bewegt

Na ja – zunächst ist das eine Gesamtbetrachtung für alle Ausbildungsberufe. Für ein konkretes Ausbildungsprofil – z.B. den angesprochenen Lageristen oder Mechaniker – kann die Anzahl eingehender Bewerbungen schon ganz anders aussehen.

Zudem ist Provadis schlicht auch Dienstleister – für den ein kleinerer Bewerberpool eben die Wahrscheinlichkeit reduziert, die Güte der Ausbildung für seine Kunden, vor allem Industrieparkunternehmen wie Sanofi, Bayer, Clariant oder Celanese, durchweg auf jenem hohen Niveau zu halten, auf dem es bisher lag.

Und der Anspruch für die Chemie sollte sein, die besten Bewerber zu gewinnen – bei der Kapitalintensität der Branche, der Attraktivität der Tarifverträge etc.

Dass die Bewerberzahlen die ausgeschriebenen Stellen nicht mehr decken – davon ist im Gesamtbild bei Provadis noch nichts zu sehen. Aber die Demografie wird eben erst im Detail interessant :).

Wie sich die Lage für manchen Mittelständler außerhalb der Chemie darstellt, je nach Region unterschiedlich, können Sie hier in der Süddeutschen nachlesen (09. Februar 2017 – „Es schlägt die Stunde der Schwächeren“).

Die Demografie ist kein Freibrief für schlechte Leistungen

Dennoch machen diese Zahlen deutlich, dass die demografischen Rahmendaten kein Freibrief für schlechte Leistungen sind! Ich sage das deshalb so klar, weil ich in den vergangenen Jahren viele Hochschullehrer, Redakteure, Trendforscher und professionelle Redner gehört habe, die sich zu Aussagen in dieser Tonlage verstiegen:

„Wegen der Demografie habt ihr, die kommende Generation, es einfach auf dem Arbeitsmarkt.“
oder
„Eure Generation kann sich einmal die Jobs aussuchen.“

Diese Botschaften halte ich für grundfalsch und unverantwortlich, unabhängig davon, ob es einzelne Bewerber gibt, auf die solche Aussagen zutreffen.

  • Zum einen gereicht diese Sichtweise, wird sie verinnerlicht, keinem Bewerber zur Zier.
  • Darin drückt sich für mich aber auch das fehlende Verständnis für Marktmechanismen aus. Ein gesundes Unternehmen wird nie dauerhaft akzeptieren „fast jeden“ einstellen zu müssen. Genauso wenig wie ein selbstbewusster Arbeitnehmer auf Dauer nicht akzeptiert, „irgendwie“ bezahlt zu werden oder unter „irgendwelchen Arbeitsbedingungen“ tätig zu sein.

Ungleichgewichte balancieren sich aus – Unternehmen sind genauso wie Bewerber… findig. Dies zeigt das Vorgehen von Provadis auch. Mit Sicherheit bleibt die Mathe- oder Deutschnote (unter gewissen Umständen) nicht mehr das alleinig ausschlaggebende Einstellungskriterium; trotzdem wird deshalb nicht „fast jeder“ eingestellt oder es fällt jeglicher Anspruch an die Ausbildungsfähigkeit junger Menschen.

Was hat sich am Auswahlverfahren bei Provadis geändert?

Zurück zum Thema: Provadis hat aufgrund der Bewerberlücke sein bewährtes Auswahlverfahren für Azubis hinterfragt. – Das meine ich wenn ich davon spreche, die Demografie herunterzubrechen.

Das Ziel dieser Überarbeitung war es, die Anzahl der passenden und erfolgversprechenden Kandidaten möglichst konstant zu halten, bei schrumpfendem Bewerbermarkt. Dafür war ein erweitertes Auswahlverfahren nötig; ein Auswahlverfahren, das auch Potenzialkandidaten eine Chance gibt (hier finden Sie ein dazugehöriges Interview im Personalmagazin 8/2015 – „Mit Persönlichkeit zum Erfolg“).

In der Vergangenheit wurden die Bewerber in erster Linie nach ihren kognitiven Fähigkeiten in Leistungs- oder Intelligenztests und guten Schulnoten bewertet. Genügte der Bewerber diesen Standards nicht, fiel er durchs Raster. Schließlich gab es genug Bewerbungen. Das wollte Provadis ändern.

Dazu sagt Psychologe Markus Vogel, Leiter des Personalcenters bei Provadis und maßgeblich für die Entwicklung des kompensatorischen Modells verantwortlich:

„Mit dem neuen Auswahlverfahren finden wir zukünftig aus einem kleiner werdenden Bewerberpool dennoch die passenden Kandidaten und nutzen somit zusätzliche Bewerberpotenziale, die früher nicht berücksichtigt wurden.“

Das bedeutet jetzt nicht, dass einigermaßen ordentliche Noten egal seien. Aber die in schulischen Noten oder Intelligenztest zum Ausdruck kommenden Fähigkeiten sollen für den Ausbildungserfolg nicht mehr absolut gesetzt werden. Was zur Frage führt: Wenn Schulnoten oder IQ nicht alles sind, woran erkenne ich dann möglichst gut, ob der Bewerber dennoch in der Lage ist eine Ausbildung erfolgreich zu absolvieren? Denn diese Information bleibt wichtig, Demografie hin oder her.

Mit Persönlichkeit punkten

Damit sind wir beim Kern des kompensatorischen Modells als eignungsdiagnostischem Verfahren: Es legt mehr Fokus auf die Persönlichkeit, denn bestimmte Persönlichkeitseigenschaften können Schwächen im kognitiven Bereich bis zu einem gewissen Grad kompensieren. Solche Bewerber werden von Provadis dann als „Potential- Kandidaten“ betrachten, da sie zwar Schwächen im Wissensbereich haben (z.B. schwächere Schulnoten, Schwächen in kognitiven Tests), aber aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur dennoch geeignet sind, eine Ausbildung erfolgreich zu absolvieren. Gewissenhaftigkeit oder auch Offenheit beim Bewerber sind beispielsweise solche Eigenschaften. Solche Eigenschaften zu erheben ist Sache der Psychologie.

In die Details des Intelligenzstruktur- und Persönlichkeitstests von Provadis möchte ich an dieser Stelle nicht einsteigen – aber eine Sache ist noch zu erwähnen.

Was führt letztlich zum Ausbildungserfolg?

Am Ende des Tages errechnet Provadis (mit Hilfe eines validen Algorithmus) mit seinem Auswahlverfahren eine Erfolgswahrscheinlichkeit: Packt es der Bewerber oder eher nicht, seine Ausbildung erfolgreich zu absolvieren? Diese errechnete Erfolgswahrscheinlichkeit gibt auch darauf einen Hinweis, wie hoch der individuelle Betreuungsaufwand in der Ausbildung ist, um eben auch tatsächlich zu einem erfolgreichen Abschluss zu kommen.

Eine gute Erfolgswahrscheinlichkeit bedeutet also nicht – das läuft automatisch…

Aus diesem Grund kann das Auswahlverfahren auch nicht einfach bei Provadis losgelöst ‚eingekauft‘ werden.

Denn für die absehbaren Schwächen des Bewerbers hält Provadis sogenannte Interventionstools parat, die ein externer Dienstleister nicht einfach so ein- und umsetzen könnte.

Zur Verdeutlichung: Als ein Anzeichen für kritisch auffällige Auszubildende gelten unentschuldigte Fehltage. Ein Monitoring der Fehlzeiten ist daher wichtig, genauso wie die Kenntnis der Anforderungen und Bedingungen in der Ausbildung, um auf solche Entwicklungen gegebenenfalls korrigierend einzuwirken und eine individuelle Betreuung sicherstellen zu können. Würde das Auswahlverfahren als reines Produkt ganz aus der Hand gegeben, wäre der Qualitätsanspruch von Provadis nicht mehr garantiert.

Hat sich das neue Vorgehen schon bewährt?

Bleiben abschließend die Fragen: Seit wann wird das neue Auswahlverfahren eingesetzt? Was sind die Erfahrungen? Provadis setzt das kompensatorischen Modell seit der Einstellung 2015 ein. Eine seriöse Bewertung des Modells nach dem regulären Ausbildungszyklus von drei Jahren ist daher ab 2018 möglich. Dann wissen wir also mehr darüber, wie sich die „Potential-Kandidaten“ in der Ausbildung geschlagen haben!

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