Haltung zeigen
Haltung in der Unternehmenskommunikation: Dieses Thema stand im Mittelpunkt des 40. FORUM Kommunikation, zu dem HessenChemie und der VCI Hessen am 4. März 2024 nach Frankfurt eingeladen hatten. Rund 50 Kommunikatorinnen und Kommunikatoren aus Mitgliedsunternehmen beschäftigten sich mit der Frage, wie und wo Unternehmen heute im gesellschaftspolitischen Diskurs Position beziehen sollten.
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
Zunächst ging es um die Geschichte: Von 1.256 Unternehmen, die vor 1945 gegründet wurden, weisen 722 im Internet auf ihre Tätigkeiten während des Nationalsozialismus hin, 227 dagegen – also 20 Prozent – sprechen nicht darüber. Diese Zahlen präsentierte Dr. Andrea Schneider-Braunberger, Geschäftsführerin der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte. Sie zeigte auf, wie sich über die Jahre hinweg der Umgang mit der geschichtlichen Aufarbeitung gewandelt hat. In den ersten Nachkriegsjahren wurden kritische Themen aus der NS-Zeit zunächst von den Unternehmen nicht aufgearbeitet. Von wenigen Ausnahmen abgesehen begann man erst ab den 1990er-Jahren, häufig auf Druck von Medien, Geschäftspartnern und eigenen Mitarbeitern, sich öffentlich mit der eigenen Historie zu befassen. Dennoch haben laut Schneider-Braunberger bis heute nur rund 10 Prozent der Unternehmen eine Gesamtstudie zu ihrer Unternehmensgeschichte vorgelegt, etwa 8 Prozent haben ihre NS-Geschichte professionell aufarbeiten lassen.
Wie solche Transparenz aussehen kann, zeigt das Beispiel von Evonik Industries. 1998 beauftragte der Vorstand der vormaligen Frankfurter Degussa AG den amerikanischen Historiker Professor Peter Hayes damit, die komplexe Geschichte des Unternehmens zwischen 1933 und 1945 in einer unabhängigen Studie zu erforschen. Dabei wurden die weitreichenden Verstrickungen in Produktion und Lieferung von Rüstungsgütern sowie auch die Beteiligung am System der Zwangsarbeit offengelegt. Dr. Andrea Hohmeyer, Leiterin Heritage & History bei Evonik, schilderte in ihrem Vortrag, wie dieser Umgang mit der Geschichte zum Ausgangspunkt für das heutige gesellschaftspolitische Engagement von Evonik geworden ist und gab Beispiele für die umfangreiche Erinnerungs- und Bildungsarbeit im eigenen Unternehmen und darüber hinaus: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen Multiplikatoren sein, wir wollen sie in die Lage versetzen, ausgrenzendem Gedankengut zu widersprechen und Zivilcourage zu üben,“ betonte Hohmeyer. Im Herbst vergangenen Jahres hatte sich Evonik-Vorstand Christian Kullmann klar gegen die AfD positioniert und deren Politik als wirtschaftsfeindlich bezeichnet. Damit habe er auch ein Signal an die eigene Belegschaft gesendet, sagte Hohmeyer.
Ein zentrales Element der Investment Story
Einen Blick auf die Handlungsmotive von Investoren warf Thorsten Greiten, CEO der NetFederation und Berater für digitale Unternehmenskommunikation. Für die Investment Story gewinne die Haltung von Unternehmen immer größere Bedeutung und die Themen und Werte, die für die Risikobetrachtung relevant sind, seien im Wandel. Wurden Investment-Entscheidung in den 2010er-Jahren noch vorrangig nach ökonomischen und geopolitischen Aspekten getroffen, spiele der Bereich ESG heute eine zentrale Rolle: „Mit Blick auf ‚Environmental – Social – Governance‘ werden Intransparenz oder fehlende Haltung abgestraft, allzu werbliches Agieren wird als ‚Greenwashing‘ kategorisiert“, erklärte Greiten. Ob ein Unternehmen sich glaubwürdig und mit einer konsistenten Außendarstellung positioniere, habe direkte Auswirkungen auf Investment-Entscheidungen.
Werteorientierung gerade in Krisenzeiten
Dass eine klare Werteorientierung gerade in Krisenzeiten von zentraler Bedeutung ist, unterstrich Stefan Paul Mechnig, Global Head of Thought Leadership beim Kunststoffhersteller Covestro. Unternehmen würden zu „Leuchttürmen in unsicheren Zeiten“, denn Unternehmenslenkern werde heute größeres Vertrauen entgegengebracht als vielen anderen Institutionen. Covestro leite daraus die Verantwortung ab, aufzuzeigen, was die Industrie zu einem positiven gesellschaftlichen Wandel beitragen kann. Im Mittelpunkt stehen dabei ökologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Nachhaltigkeit: Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft sowie innovative Kunststoffe nannte Mechnig als Beispiele für die Lösungskompetenz von Covestro sowie der Chemie insgesamt. Auch durch Faktenorientierung und die Förderung von Bildung und Wissenschaft leiste die Branche wichtige Beiträge. Bei Covestro engagieren sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Themenbotschafter, die sich für diese Themen starkmachen.
Werteorientierte Führung
Auch Sven Korndörffer, ehemaliger Bereichsvorstand Konzernkommunikation der Commerzbank und Vorstandsmitglied der „Wertekommission“ sprach in seinem Vortrag die wichtige Rolle von Unternehmen und insbesondere von „werteorientierter Führung“ in unübersichtlichen Zeiten an. Seiner Erfahrung nach bezögen sich Managementmodelle meist auf die Sachebene, während die Beziehungsebene zu kurz komme. „Führung bedeutet, Vorbild für Werte zu sein“, so Korndörffer. „Führung muss Haltung zeigen, Orientierung geben und Mut zu Entscheidungen machen – auch auf die Gefahr hin, dass gelegentlich Fehler begangen werden.“
Zur Haltung verpflichtet
Ein Fallbeispiel wurde von Ingemar Bühler und Bettina Dempewolf von PlasticsEurope Deutschland e. V. präsentiert. Sie erzählten, wie sie sich von einem wichtigen Geschäftspartner distanzieren mussten, der mit rechten Ideologien paktierte. „Hier kam es auf Schnelligkeit an, deshalb brauchten wir Mut zur Entscheidung“, erinnert sich Bühler. Positive Reaktionen im Nachhinein hätten das Team darin bestätigt, richtig gehandelt zu haben. Mit diesem Praxisbeispiel bekräftigte Bühler, was in den vorangegangenen Beiträgen des 40. FORUM Kommunikation bereits angeklungen war: Die Zeiten, in denen sich die Industrie ausschließlich auf ihr jeweiliges Kerngeschäft konzentrieren könne, seien endgültig vorbei: „Wir sind zur Haltung verpflichtet.“