Digital gestützte Zusammenarbeit in der Ausbildung

Von der Vision zur Mission

Die Vision ist eigentlich von keinem anderen Stern. Bevor ich auf eine aktuelle Studie aus Hessen eingehe, möchte ich den geneigten Leser auf eine Gedankenreise mitnehmen: Stellen Sie sich vor, es gäbe eine gemeinsame Plattform, über die Berufsschulen und die entsprechenden Ausbildungsbetriebe miteinander vernetzt wären, Lehrende und Lernende miteinander kommunizieren, kollaborieren und lernen könnten…

Unser Berufsschullehrer, wir nennen ihn Lars Hoffnung, hat den Austausch mit seinen Ansprechpartnern in den Unternehmen stark intensiviert seitdem es die neue landesweite Plattform gibt. Gemeinsam wird an einem lernortübergreifenden Curriculum gearbeitet und das digitale Klassenbuch genutzt. Mit einigen Kolleginnen und Kollegen sowie Ausbilderinnen und Ausbildern hat er neue und individuelle Selbstlernkonzepte für die Auszubildenden entwickelt. Anhand innovativer Tools können sich die Lernenden auf die verschiedenen Prüfungen vorbereiten. Der Lerneffekt ist bei diesen digitalen Formaten deutlich besser, berichtet er im Rahmen der wöchentlich stattfindenden gemeinsamen Videokonferenz. Dies habe seine Auswertung ergeben.

Emilia und Leo sind Auszubildende im 2. Lehrjahr. Von den Lernvideos, die sie selbst in ihrem Ausbildungsbetrieb aufgenommen haben, können nun auch andere profitieren und die Ausbildungsthemen festigen. Das motiviert Emilia und Leo. Sie sind ein wenig stolz darauf, dass sie von allen für ihre Arbeit gelobt werden.

Dem Ziel, die digitalen Kompetenzen der Auszubildenden zu fördern, folgen auch verschiedene E-Learning-Arrangements, die gemeinsam zwischen Betrieben und Berufsschule entwickelt wurden. Durch dieses Angebot kann selbstgesteuertes und kollaboratives Arbeiten gefördert werden. Begeistert sind alle von der Wissensbibliothek, die auf der Plattform zur Verfügung steht. Hier sind alle relevanten Dokumente hinterlegt und nach Lernfeldern und Arbeitsschwerpunkten sortiert. Gepflegt wird die Plattform übrigens von den Auszubildenden selbst; sie stellen ihre Projektbeschreibungen, Referate und Versuchsvorschriften dort ein und damit auch anderen Schülerinnen und Schülern zur Verfügung. Auch die Berufsschullehrerinnen und -lehrer sowie die Lernbegleiterinnen im Betrieb greifen darauf zu und sehen nach, welche Themen bereits bearbeitet wurden. Auszubildende können die von beiden Seiten abgestimmten Inhalte individuell von jedem Lernort aus abrufen und bearbeiten. Sie haben während den unterschiedlichen Phasen (Berufsschule bzw. Betrieb) einen digitalen roten Faden, der von beiden Kooperationspartnern „eingesetzt“ und mitgestaltet wird. Auch die fünfwöchigen Praxisprojekte am Ende der Ausbildung wurden teilweise digitalisiert. Diese beinhalten, dass die Auszubildenden gemeinsam tüfteln, kleine Programme schreiben und Modelle bauen.

Von zentraler Bedeutung ist dabei die zwischenzeitlich stabil funktionierende Technik. Diese wurde vom Schulträger nach den Wünschen der Berufsschule angeschafft. Auch die bereitgestellte Software orientiert sich an modernen Standards. Toll ist, dass das Kultusministerium mehr zeitliche Ressourcen für die Kooperation von Lehrkräften und Ausbildern zur Verfügung gestellt hat. Für eine derart eng abgestimmte Zusammenarbeit, bei der das komplette Lehrkräfteteam eines Ausbildungsberufs eingebunden ist, braucht man eben auch Zeit. Eine weitere Unterstützung ist der neue „digitale Hausmeister“ der Berufsschule. Er unterstütz als IT-Administrator und berät die Schulleitung bei der Anschaffung von Hard- und Software.

Diese von mir geschilderte Vision ist zumindest punktuell schon Wirklichkeit geworden. Im Rahmen des Projektes „HESSENbildung.digital“ haben insgesamt zehn Tandems aus Ausbildungsunternehmen und Berufsschulen zwei Jahre lang an entsprechenden Projekten gearbeitet.

Bestandsaufnahme und hessenweite Umsetzungsszenarien in der dualen Ausbildung

Dass die Welt in den hessischen Berufsschulen aber vielerorten noch anders aussieht, zeigt eine am 28. Februar 2023 veröffentlichte Studie des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität Frankfurt. Die Bedingungen an den verschiedenen Berufsschulen sind leider noch sehr unterschiedlich und im Hinblick auf eine digitale Zusammenarbeit beider Partner wird im Fazit auf Seite S. 64 ausgeführt: „Während sich die aktuelle Lernort-Kooperation in den meisten Fällen ausschließlich auf den punktuellen Informationsaustausch bezieht, werden kollaborative Arbeitsformen bisher wenig praktiziert.“

Logo Machbarkeitsstudie digi_leokopTrotz des Wunsches der Beteiligten stellt die Studie einen gewissen „Stillstand“ in der Entwicklung der digitalen Zusammenarbeit fest. Anhand der Studienergebnisse werden nun drei Handlungsoptionen für eine Digitalisierung der Zusammenarbeit vorgestellt: Eine landesweite und zentral gesteuerte Lösung, einen zentral verantworteten Pool an Lösungen sowie dezentrale Plattformlösungen. Darüber hinaus sind gebündelte Empfehlungen zur Implementierung, beispielsweise die Integration in das Schulportal Hessen oder im Bereich Datenschutz, enthalten. Die Studie finden Sie auf unserer Website.

Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), die Arbeitgeberverbände HESSENMETALL und HessenChemie, die Arbeitsgemeinschaft der Hessischen Handwerkskammern (ARGE) sowie der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK) haben die Machbarkeitsstudie zur Digitalisierung der Lernort-Kooperation (digi_leokop) initiiert. Diese wurde mit Mitteln des Förderprogramms Distr@l der Hessischen Staatskanzlei im Bereich der Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung unterstützt.

Aus Sicht der hessischen Wirtschaft würde der gezielte Einsatz digitaler Instrumente neue Impulse für eine Zusammenarbeit von Berufsschulen und Ausbildungsbetrieben bewirken und damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Modernisierung und Weiterentwicklung sowie zur Attraktivitätssteigerung der dualen Ausbildung insgesamt leisten. Kammern und Verbände sprechen sich daher für einen landesweiten Ausbau der digitalen Lernort-Kooperation aus. Am ehesten sei diese, wie in der Studie dargestellt, mit einer zentralen Lösung zu erreichen, die für alle Beteiligten, insbesondere auch die Ausbildungsbetriebe, verfügbar wäre. (Mehr im Positionspapier)

Jetzt ist die Politik gefragt, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Auch im Rahmen des Vorhabens „Die zukunftsfähige Berufsschule“ der Landesregierung sollte eine solche zentrale landesweite digitale Plattformlösung zur Lernort-Kooperation mitgedacht werden. Auch wenn der Berufsschulunterricht weiter überwiegend in Präsenz stattfinden wird, wird die geplante Neuordnung von Berufsschulstandorten in vielen Fällen zu größeren räumlichen Entfernungen zwischen Ausbildungsbetrieb und Berufsschule führen, was die Zusammenarbeit ohne digitale Vernetzung deutlich erschweren dürfte. Wer die duale Ausbildung auch in Zukunft attraktiv halten will, muss sich jetzt an die Spitze der Bewegung setzen. Hessen hat die große Chance, hier ein deutliches Zeichen zu setzen.

Jürgen Funk

Jürgen Funk

Jürgen Funk ist Geschäftsführer Verbandskommunikation und politische Öffentlichkeitsarbeit sowie Pressesprecher beim Arbeitgeberverband HessenChemie. Er verfügt über eine 25-jährige Erfahrung in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Verbänden, PR-Agenturen, Politik und Bundeswehr. Bei HessenChemie ist er darüber hinaus zuständig für die Berufsausbildungsthemen. Jürgen Funk ist Geschäftsführer des Arbeitskreises SCHULEWIRTSCHAFT Wiesbaden-Rheingau-Taunus und Aufsichtsratsmitglied der JOBLINGE gAG FrankfurtRheinMain.

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