Nachhaltigkeit: Wie können Betriebe ihr Ausbildungs-personal qualifizieren?

Nachhaltigkeit ist nicht nur ein wichtiges gesellschaftliches Thema, sondern eine notwendige Entwicklung für ein verantwortungsvolles und erfolgreiches Wirtschaften in der Zukunft. Bereits im Ausbildungsalltag sollte daher für Nachhaltigkeit sensibilisiert und nachhaltige Lernorte von Auszubildenden aktiv mitgestaltet werden. Doch wie können Betriebe in diesem Bereich konkret vorgehen? Welche Möglichkeiten bieten sich für die nachhaltige berufliche Bildung?

Das Modellprojekt ANLIN (Ausbildung fördert nachhaltige Lernorte in der Industrie), das unter anderem mit dem deutschen UNESCO BNE-Preis sowie dem Responsible Care-Preis des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) Hessen ausgezeichnet wurde, zeigt, wie die Integration von Nachhaltigkeit in die berufliche Bildung gelingen kann. Im ersten ANLIN-Projekt standen die Auszubildenden im Fokus. Für sie wurden Schulungskonzepte entwickelt, erprobt und innerhalb der Unternehmen Nachhaltigkeitsaktivitäten angestoßen. Im Auftrag für die Bundesregierung wurde dafür ein Projektverbund, bestehend aus Provadis, dem Qualifizierungswerk Chemie in Halle, dem Bildungszentrum für Beruf & Wirtschaft in Wittenberg und dem Institut für nachhaltige Berufsbildung & Management-Services in Hannover ins Leben gerufen. Der Arbeitgeberverband HessenChemie und die IGBCE Hessen-Thüringen waren im Projektbeirat eingebunden.

Die Erfahrungen aus dem Projekt haben gezeigt, dass eine dauerhafte Umsetzung in den Betrieben aber nur gelingen kann, wenn auch das Ausbildungspersonal vor Ort die gleichen Kompetenzen besitzt und diese als Vorbild im Berufsalltag vorlebt. Daher sollten im zweijährigen Projekt ANLIN², das jetzt zum Abschluss kam, Ausbilderinnen und Ausbilder bestärkt werden, sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen und dies in ihre Lehr- und Lernsituationen mit Auszubildenden einfließen zu lassen.

Nachhaltigkeit als ständiger Begleiter

Für ANLIN² haben wir uns bei Provadis mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nürnberg für Mittelfranken, die sich Nachhaltigkeit zum Leitthema gesetzt haben, zusammengetan. Ziel war es, Nachhaltigkeit überall dort, wo Nachwuchskräfte der Industrie ausgebildet werden, zum ständigen Begleiter zu machen sowie nachhaltigkeitsrelevante Kompetenzen von Ausbildungspersonal zu entwickeln und zu stärken. ANLIN und ANLIN² wurden ermöglicht durch eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie des Bundesinstitutes für Berufsbildung (BIBB). Gemeinsam mit unseren Projektpartnern leisten wir damit seit Jahren einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung innerhalb der Branche und unterstützen die Nachhaltigkeitsinitiative Chemie hoch 3 der Chemischen Industrie.

Workshops vermitteln Kompetenzen

In ein- bzw. zweitägigen Workshops im Rahmen von ANLIN² wurde bundesweit rund 250 Ausbilderinnen und Ausbildern ein ziel- und praxisorientiertes Verständnis vermittelt, wie nachhaltige Entwicklung die Arbeitswelt und zugleich die Ausbildung verändert. Was muss künftig in der Ausbildung gemäß der Standardberufsbildpositionen umgesetzt werden? Wie wichtig sind und welchen Nutzen haben Nachhaltigkeit und Digitalisierung? Welche neuen Formen der Zusammenarbeit mit Auszubildenden sind dafür erforderlich? Mit diesen Fragen setzten sich die Teilnehmenden in den aufeinander aufbauenden Workshops auseinander und erarbeiteten dazu konkrete Umsetzungsstrategien. Die persönliche und berufliche Sensibilisierung sowie das individuelle Selbstverständnis für zukunftsfähige Ausbildungen standen im Mittelpunkt. Ein grundlegender Fachinput rundete die Reihe ab.

Die Workshops von ANLIN² vermittelten ausbildenden Fachkräften nachhaltigkeitsrelevante Kompetenzen. © 2023 Provadis Partner für Bildung und Beratung GmbH
Die Workshops von ANLIN² vermittelten ausbildenden Fachkräften nachhaltigkeitsrelevante Kompetenzen. © 2023 Provadis Partner für Bildung und Beratung GmbH

Gute Ideen leben im Unternehmen weiter

Ein Unternehmen, das die Qualifizierung der Ausbilderinnen und Ausbilder im Bereich Nachhaltigkeit über das Projekt ANLIN² bereits genutzt hat, ist die Evonik Industries AG. Rund 60 ausbildende Fachkräfte für naturwissenschaftliche Berufe und zirka 40 Auszubildende profitierten von den praxisbezogenen interaktiven Workshops. Das Unternehmen hat laut Dr. Theo Fecher, Leiter naturwissenschaftlich/technische Aus- und Weiterbildung bei Evonik in Hanau, gute Erfahrungen damit gemacht. Das Thema Nachhaltigkeit hat bei Evonik bereits an Präsenz gewonnen. Durch das Projekt ANLIN² wurde erreicht, dass sich die Teilnehmenden grundsätzliche Gedanken machen und feststellen, dass Nachhaltigkeit mehr ist als Umweltschutz. Um die guten Ideen einem größeren Kreis im Unternehmen zugänglich zu machen, wurden sie in eine interne digitale Mediathek integriert. Mit den Tools von ANLIN² kann Evonik jetzt weiter daran arbeiten, Nachhaltigkeit in der Ausbildung voranzubringen.


Drei Fragen an Marny Schröder, Projektleiterin Bildungs- und Forschungsprojekte bei Provadis


Das Projekt ANLIN² ist 2020 als Nachfolgeprojekt von ANLIN mit dem Ziel gestartet, das Thema Nachhaltigkeit und die Transformation in der chemischen Industrie und darüber hinaus zu begleiten. Welche Erwartungen hatten Sie zu Beginn der Umsetzung?

Im Projekt ANLIN² wollten wir zum einen möglichst viel ausbildendes Fachpersonal mit unserem entwickelten und erprobten Konzept erreichen und es so anpassen, dass es flexibel eingesetzt werden kann. Zum anderen war es uns wichtig, Erfahrungen zu sammeln, ob unsere Nachhaltigkeits-Workshops auch in anderen Branchen Anwendung finden können. Letztendlich hatten wir den Wunsch, dass Unternehmen und Bildungseinrichtungen im Anschluss an die Maßnahmen des Projekts eigenständig mit dem Thema Nachhaltigkeit weitermachen können.

Wie gestaltete sich insgesamt der Projektverlauf? Wo gab es Hürden?

Wir waren überrascht über die hohe Nachfrage und die vielen motivierten Teilnehmenden und Unternehmen. Die Pandemie verzögerte zwar den Durchführungsstart, aber durch die Entwicklung von virtuellen Angeboten konnten wir dem entgegenwirken. Diese Angebote haben sich bewährt und können jetzt ergänzend genutzt werden. Das Thema Nachhaltigkeit ist durch die Standardberufsbildposition in den Ausbildungsordnungen verankert worden. Daher haben viele Unternehmen für zahlreiche Berufe einen Schulungsbedarf. Diese Entwicklung hat uns dazu veranlasst, unser Konzept flexibel zu denken – eher in Bausteinen – da das Vorwissen der Teilnehmenden und auch die Schwerpunkte je nach Gruppe bzw. Unternehmen variierten. Geholfen hat uns das Netzwerk der chemischen Industrie. Dadurch war ein Vertrauen in die Qualifizierung schon vorhanden. Wir freuen uns sehr darüber, dass unser Konzept auch in anderen Branchen angewendet und erfolgreich durchgeführt werden konnte.

Die Ergebnisse von ANLIN² sollen auch andere Unternehmen dabei unterstützen, Nachhaltigkeit langfristig im Unternehmen zu verankern. Welche Projekterfahrungen spielen dafür eine besondere Rolle?

Das Projekt hat uns darin bestätigt, wie wichtig es ist, ausbildendes Fachpersonal in die Lage zu versetzen, das Thema Nachhaltigkeit und im speziellen die Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung in seiner Komplexität einordnen zu können. Dafür ist, zumindest bei einem Teil des Ausbildungspersonals, eine intensivere Qualifizierung notwendig. Berufsbilder verändern sich und die Ausbildung muss darauf eingehen. Nachhaltigkeit ist ein Teil davon, aber nicht als ein extra Thema zu verstehen, sondern grundsätzlich in allem dabei, was getan wird. Das erfordert ein Umdenken bei Ausbilderinnen und Ausbildern und muss ihnen mithilfe von vielen praktischen Beispielen vermittelt werden. Sie haben als Multiplikatoren im Unternehmen eine Vorbildrolle. Im Idealfall stellt sich die ganze Ausbildungsabteilung des Unternehmens oder der Bildungseinrichtung auf das Thema ein und behandelt es ganzheitlich, so dass es integraler Bestandteil der Ausbildungsorganisation wird.


So können auch andere Unternehmen profitieren


Damit ein Branchentransfer gelingen kann, gehört zum Konzept auch eine „Ideenbox“, auf die interessierte Unternehmen unter www.nachhaltige-lernorte.de zugreifen können.

Die digitale Ideenbox enthält Tools, die das Ausbildungspersonal bei der Umsetzung des Themas Nachhaltigkeit gemäß der neu festgelegten Standardberufsbildposition in der dualen Ausbildung unterstützt. Dazu gehören Basiswissen, Argumentationshilfen sowie methodische und didaktische Überlegungen für die Praxis – auch branchenübergreifend. Ausbilderinnen und Ausbilder können unter anderem von vielen nützlichen Links und Apps zum Thema Nachhaltigkeit, Umsetzungsbeispielen aus der Praxis, Kreativtechniken zur Erarbeitung von Nachhaltigkeitsstrategien oder von Nachhaltigkeitschecks und Erklärvideos profitieren.


Die Autoren


Dr. Karsten Rudolf

Provadis Partner für Bildung und Beratung GmbH

Dr. Karsten Rudolf, Prokurist sowie Leiter Bildungs- und Forschungsprojekte
Marny Schröder

Provadis Partner für Bildung und Beratung GmbH

Marny Schröder, Projektleiterin Bildungs- und Forschungsprojekte

Provadis Partner für Bildung und Beratung GmbH ist ein Unternehmen der Infraserv-Höchst-Gruppe. Mit rund 1.800 Auszubildenden und über 2.500 Weiterbildungsteilnehmenden an den Standorten Frankfurt und Marburg gehört Provadis zu den führenden Anbietern von Bildungsdienstleistungen in Hessen.

An der Provadis Hochschule studieren über 1.100 Studierende in dualen und berufsbegleitenden Studiengängen mit international anerkannten Bachelor- und Masterabschlüssen. Die Hochschule bündelt ihre interdisziplinären Aktivitäten im Bereich Forschung und Projekte im Zentrum für Industrie und Nachhaltigkeit.

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