„Familienstartzeit-Gesetz“ belastet Arbeitgeber mit Mehrkosten von etwa 556 Millionen Euro

Ein Gastbeitrag von Natascha Weise und Peter Schott

Seit Ende März 2023 ist der Referentenentwurf der Bundesregierung zur „Einführung eines Freistellungsanspruchs für den Partner oder die Partnerin nach der Entbindung und zur Änderung anderer Gesetze“ (Familienstartzeit-Gesetz) – oder aus der Presse bekannt als „Gesetzentwurf zum Vaterschaftsurlaub“ – in aller Munde. Es stellt sich daher die Frage, was genau darunter zu verstehen? Was Ziel und Ursprung dieses Gesetzesvorhabens sind und wie sich die derzeitige Rechts- sowie Tariflage darstellt? Die Kernfrage in diesem Zusammenhang ist, ob dieser weitere Freistellungsanspruch – mit Blick auf eine große Batterie bereits vorhandener gesetzlicher und tariflicher Freistellungstatbestände – wirklich begründet und insbesondere in der geplanten Umsetzung mit der alleinigen Kostenbelastung der Arbeitgeber gänzlich durchdacht und vor allem gerechtfertigt ist.

Was ist geplant?

Geplant ist ein (weiterer) Freistellungstatbestand für den Partner oder die Partnerin der werdenden Mutter in den ersten zehn Arbeitstagen nach einer Geburt (zukünftig geregelt in § 25a Mutterschutzgesetz – „MuSchG“). Darüber hinaus sollen auch folgende Personen anspruchsberechtigt sein,

  • der andere Elternteil, der mit der Frau, die entbunden hat, in einem Haushalt lebt, oder
  • eine andere Person, die mit der Frau, die entbunden hat, eine Lebenspartnerschaft geschlossen hat und mit ihr in einem Haushalt lebt, oder
  • eine von der Frau während der Schwangerschaft oder nach ihrer Entbindung benannte Person, wenn der andere Elternteil nicht mit der Frau in einem Haushalt lebt.

Nach derzeitigem Stand kann die „andere benannte Person“ eine beliebige Person des Vertrauens der werdenden Mutter sein. Erforderlich ist demnach nicht, dass es sich um eine „Partnerfreistellung“ im klassischen Sinn handelt, die in direktem Zusammenhang mit einem etwaigen Familienbzw. zumindest Verwandtschaftsverhältnis der werdenden Mutter steht. Es kann sich demzufolge auch um eine Freundin oder einen Freund etc. handeln. Hierdurch sollen zusätzlich zu dem vorgesehenen Partnermodell alleinerziehende Mütter unmittelbar nach der Geburt unterstützt werden. Insbesondere im Zusammenhang mit dem angedachten Freistellungsanspruch einer bloßen Vertrauensperson erschließt sich die weitere geplante Regelung, nämlich dass die Zeit einer solchen Freistellung – ebenso wie die Zeit der Mutterschutzfrist auch – auf den Anspruch der Elternzeit i.S.d. § 15 BEEG angerechnet werden soll, nicht. Denn fiele die Wahl der werdenden Mutter bspw. auf eine Freundin, so hätte diese gar keinen Elternzeitanspruch, auf den der Zeitraum der Partnerfreistellung angerechnet werden könnte.

Zielsetzung

Eines der maßgeblichen Ziele des Referentenentwurfs wird wie folgt dargelegt: „Die Zeit der Schwangerschaft ist häufig die erste Lebenssituation, in der Paare mit der herausfordernden Vereinbarkeit von Familie und Beruf konfrontiert werden. Mit der Geburt des Kindes und dem Beginn der Elternzeit stellen Paare zentrale Weichen für ihre Aufgabenteilung bei Familien- und Erwerbsarbeit.(1)“

Darüber hinaus soll aber insbesondere die Frau nach der Geburt unterstützt werden, indem sie „nach der Geburt im familiär vertrauten Umfeld regenerieren kann und die Eltern Zeit füreinander und das neugeborene Kind haben. Die Erleichterung der gegenseitigen Fürsorge durch die Partnerfreistellung soll damit vornehmlich der Frau dienen.(2) “

Nichtsdestotrotz soll durch die weitere Freistellungsmöglichkeit ein Grundstein für partnerschaftliche Aufteilung vorgenommen werden: „Die vergütete Freistellung setzt einen unmittelbaren Anreiz dazu, dass sich mehr Partner und Partnerinnen in der frühsten Betreuungsphase beruflich freistellen lassen und hiermit von Beginn an den Grundstein für eine partnerschaftliche Aufteilung der Familienaufgaben legen.“

Auch wenn es sich bei den genannten Zielen zweifelsohne um förderungswürdige Ziele handelt, stellt sich die Frage, warum diese Ziele dem Arbeitgeber finanziell aufgebürdet werden sollen. Insbesondere ist hierbei fraglich, warum einem Arbeitgeber, dessen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin – sofern es sich um eine von der Mutter benannte „andere Personen“ handelt – mit der oben dargestellten Familiengründung in keinerlei familiärer Verbindung steht, mit einem Freistellungstatbestand sowie der Kostentragung hierfür belastet werden soll.

Foto: istock.de

Ursprung des Gesetzes

Hintergrund des Familienstartzeit-Gesetzes ist die EU-Richtlinie (2019/1158/EU) zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die nach Auffassung der Europäischen Kommission nicht richtig von deutscher Seite umgesetzt wurde. Aus § 4 der EU-Richtlinie – der tatsächlich mit Vaterschaftsurlaub überschrieben ist – wird besagter Freistellungsanspruch von Vätern (oder gleichgestellten Elternteilen) abgeleitet und generiert einen „Anspruch auf zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub, der anlässlich der Geburt des Kindes des Arbeitnehmers genommen werden muss.“

Hier wird also zumindest ein erkennbarer Zusammenhang zwischen der eigentlichen Familie(ngründung) und einer Freistellungsberechtigung hergestellt. Anspruchsberechtigt sollen demnach Väter oder ihnen gleichgestellte Elternteile des Kindes sein.

Wie bereits dargestellt, geht der deutsche Gesetzentwurf also – in Bezug auf die Anspruchsberechtigten – weit über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. Damit ist die geplante deutsche Umsetzung des § 4 der EU-Richtlinie deutlich überschießend. Die Richtlinie zielt allein auf eine Unterstützung der „Eltern“ (gleich welcher Art) und die Unterstützung der Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann ab. Die Frist zur Umsetzung der oben genannten Richtlinie endete bereits am 2. August 2022. Umgesetzt wurden einige Regelungen der Richtlinie mit Ausnahme des „Vaterschaftsurlaubs“. Aus diesem Grund strengte die Europäische Kommission ein sog. „Vertragsverletzungsverfahren“ gegen Deutschland an.

Aus deutscher Sicht sah man sich zunächst zur Umsetzung des Vaterschaftsurlaubs nicht verpflichtet, da die u.a. geforderte Umsetzung eines Elternzeitanspruchs von insgesamt vier Monaten für jeden Elternteil, wovon mindestens zwei Monate bezahlt sein sollten, durch die deutschen Regelungen zu Elternzeit und Elterngeld bereits deutlich großzügiger geregelt sind und man den sog. Vaterschaftsurlaub hiervon bereits umfasst sah. Die Europäische Kommission teilte diese Auffassung nicht und leitete besagtes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland sowie auch 18 andere Staaten ein.

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Derzeitige Rechts- sowie Tariflage

In Deutschland gibt es bereits recht umfassende und zum Teil bezahlte gesetzliche Freistellungsansprüche für werdende Eltern.

Ein Anspruch auf Elternzeit besteht für jeden Elternteil pro Kind von insgesamt bis zu drei Jahren. Die Elternzeit kann frühestens mit der Geburt des Kindes beginnen und kann bis zum achten Geburtstag des Kindes in Anspruch genommen werden (§ 15 BEEG).

Darüber hinaus gelten für die werdende Mutter die Schutzfristen des § 3 MuSchG, sodass eine Mutter grundsätzlich in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung sowie acht Wochen nach der Geburt nicht beschäftigt werden darf. Finanziell unterstützt wird diese Freistellungsphase durch den Mutterschaftslohn (§ 18 MuSchG), den die werdende Mutter für den oben genannten Zeitraum erhält. Die Zeit der Mutterschutzfrist wird auf ihren o. g. Elternzeitanspruch angerechnet.

Während der Elternzeit ist zudem die Beantragung von Basiselterngeld möglich. In Summe haben die Eltern gemeinsam einen Anspruch von vierzehn Monaten Basiselterngeld, sofern sich beide an der Betreuung des Kindes beteiligen und hierdurch Einkommen wegfällt. Im Hinblick auf die Verteilung des Elterngeldanspruchs kann ein Elternteil mindestens zwei Monate und höchstens zwölf Monate für sich allein in Anspruch nehmen. Zudem besteht die Möglichkeit, im Zuge der ElterngeldPlus-Regelung den Anspruch auf die doppelte Zeit zu strecken, für solche Eltern, die während des Elterngeldbezugs bereits wieder in Teilzeit tätig werden.

Darüber hinaus können Eltern jeweils bis zu vier zusätzliche ElterngeldPlus-Monate als Partnerschaftsbonus erhalten, wenn in diesem Zeitraum gleichzeitig zwischen 24 und 32 Wochenstunden in Teilzeit gearbeitet wird. Die Regelung gilt auch für getrennt erziehende Eltern, die als Eltern aber gemeinsam in Teilzeit gehen. Die o.g. Zielsetzung des geplanten Gesetzes wird also bereits durch die bestehende Gesetzeslage im BEEG erreicht.

Ist ein Vergütungsanspruch bei Arbeitsverhinderung aus dringenden persönlichen Gründen gemäß § 616 BGB nicht (tarif)vertraglich abgedungen, kann sich im Einzelfall möglicherweise aus § 616 BGB ein bezahlter Freistellungstatbestand gegenüber dem Arbeitgeber ergeben. Allerdings ist fraglich, ob dieser Anspruch überhaupt wirksam geltend gemacht werden kann, da die Geburt eines Kindes i.d.R.planbar sein wird und Väter daher regelmäßig nicht an der Arbeitsleistung verhindert sein werden. Ungeachtet dessen haben die Tarifparteien im geltenden Manteltarifvertrag der chemischen Industrie ebenso wie im Manteltarifvertrag der kunststoffverarbeitenden Industrie geregelt, dass dem Arbeitnehmer anlässlich der Geburt ein bezahlter Freistellungstatbestand für zwei Tage zusteht.

Kosten

Im Hinblick auf die Frage, wie die bezahlten Freistellungsansprüche letztendlich finanziell zu stemmen sind, führt der Gesetzesentwurf zunächst an, dass „der einzelne Arbeitgeber – anders als nach § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – von den Kosten für die Freistellung freigehalten werden soll.“ Hierbei wird völlig vernachlässigt, dass der Anspruch aus § 616 BGB vertraglich abgedungen werden kann. Zudem geht der dadurch entstehende Eindruck, dem Arbeitgeber würden folglich keinerlei Kosten für die geplante Freistellung entstehen, völlig fehl. Der Teufel liegt hier wie häufig im Detail, denn es ist nur die Rede von der Freihaltung von Kosten des Arbeitgebers für den „einzelnen“ Arbeitnehmer.

Denn: Im weiteren Verlauf des Gesetzesentwurfs wird sodann im Folgenden dargelegt, dass der Erstattungsanspruch aus dem arbeitgebersolidarisch finanzierten U2-Umlageverfahren hergeleitet werden soll.

Bisher werden durch die sog. U2-Umlage die Belastungen für die Entgeltfortzahlungen bei Beschäftigungsverboten von Müttern sowie während des Mutterschutzes solidarisch unter allen Arbeitgebern verteilt. Zukünftig sollen nun auch die Erstattungsansprüche für den zusätzlich geplanten „Vaterschaftsurlaub“ hierüber abgedeckt werden.

Das U2-Umlageverfahren wird durch alle Arbeitgeber finanziert, indem diese zusätzlich zu den Sozialversicherungsbeiträgen die Umlage U2 für alle ihre Arbeitnehmer – gleich welchen Geschlechtes – in Form eines prozentualen Anteils des Arbeitsentgelts an die Umlagekasse der gesetzlichen Krankenversicherung abführen, um hieraus die Erstattungsansprüche aller Arbeitgeber solidarisch zu finanzieren. Die Beiträge werden insgesamt auf Basis des Arbeitsentgelts aller Beschäftigten berechnet und sind anschließend an die Krankenkassen der Arbeitnehmenden und die MinijobZentrale zu zahlen. Denknotwendig kann also die bisher finanzierte Umlage nicht auch die geplanten zusätzlichen Kosten decken und führt zwangsläufig zu einer deutlichen Erhöhung der U2-Umlage. So erklären sich sodann die geplanten Mehrausgaben von etwa 556 Millionen Euro für die Arbeitgeber.³

Die im Referentenentwurf behauptete Freihaltung der Arbeitgeber von Kosten für den Vaterschaftsurlaub ist daher hinfällig. Wie dargelegt, werden die Mehrkosten mittelbar über die Finanzierung der U2-Umlage solidarisch auf alle Arbeitgeber verteilt. Hingegen sollen dem Staat durch die geplante Anrechnungsmöglichkeit des neuen Freistellungstatbestands auf das Elterngeld Einsparungen in Höhe von ca. 78 Millionen Euro entstehen.⁴

Foto: istock.de

Gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Der angestrebte Wandel der Gesellschaft, bei dem Partner mit der Geburt der Kinder noch mehr und frühzeitiger Verantwortung übernehmen sollen, ist im Grundsatz uneingeschränkt zu begrüßen. Die Förderung junger Familien sowie werdender Mütter und damit letzten Endes die Hervorhebung der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern ist eine nicht zu vernachlässigende gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Allerdings auch eine, die der Gesellschaft im Ganzen obliegt und die einen fortlaufenden Wandel im Denken aller erfordert.

Insofern erschließt sich auch nicht, warum die Finanzierung einer derartigen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe in den alleinigen Verantwortungsbereich der Arbeitgeber gelegt werden soll. Hierbei ist unerheblich, dass der einzelne Arbeitgeber zwar nicht in unmittelbarer Form finanziell belastet werden soll, wenn ihn mittelbar dennoch eine immense Kostenbelastung über die Finanzierung der U2-Umlage trifft.

Eine Finanzierung kann und darf daher nicht in den alleinigen Verantwortungsbereich der Arbeitgeber gelegt werden, sondern muss folgerichtig aus Steuermitteln erfolgen.

Darüber hinaus reicht der deutsche Gesetzesentwurf in Bezug auf die weiteren Anspruchsberechtigten („andere zu benennende Personen“) über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus und bürdet dem Arbeitgeber Kosten auf, die europarechtlich nicht geboten sind.

Mit Blick auf die ernsthaften Probleme, vor denen die Arbeitgeber und der Wirtschaftsstandort Deutschland derzeit vor dem Hintergrund von Fachkräftemangel, Energie(preis)krisen, gestiegenen Rohstoffkosten und einer stetigen Inflation stehen, ist eine derartig überschießende und kostenintensive Umsetzung europarechtlicher Vorgaben weder geboten noch vertretbar.

1 Referentenentwurf der Bundesregierung zum Thema „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Freistellungsanspruchs
für den Partner oder die Partnerin nach der Entbindung und zur Änderung anderer Gesetze im Bereich der familienbezogenen
Leistungen, Familienstartzeit“, Bearbeitungsstand: 29.03.2023, S. 1.
2 Ebenda, S. 2.
3 Ebenda, S. 2.
4 Ebenda, S. 2.
 

Die Autoren


Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin)
Referentin Arbeits- und Sozialrecht

Natascha Weise, Arbeitgeberverband HessenChemie

Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt)
Referent Arbeits- und Sozialrecht

Peter Schott, Arbeitgeberverband HessenChemie

#Arbeitsrecht – Thema des Monats


Dieser Beitrag ist dem #Arbeitsrecht – Thema des Monats auf www.hessenchemie.de entnommen. Jeden Monats greifen die Jursitinnen und Juristen von HessenChemie ein aktuelles Thema aus dem Arbeitsrecht auf und beleuchten dieses auch unter der politischen und praxistauglichen Brille. Das Thema des Monats finden Sie auf www.hessenchemie.de in der Rubrik Publikationen im Newsroom.

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