Arbeitszeiterfassung – Ressortabstimmung oder Oppositionsrevolte?

Spätestens seit der Referentenentwurf zur Arbeitszeiterfassung des SPD-geführten BMAS im April dieses Jahres an die Öffentlichkeit gelangt ist, sorgt dieses Thema wieder für angeregte und teilweise kontroverse Diskussionen. Befürworter argumentieren, dass die Erfassung der Arbeitszeit dazu beitragen kann, Überstunden und Fehlzeiten besser zu verwalten und Arbeitnehmerrechte zu schützen. Kritiker hingegen weisen zu Recht darauf hin, dass eine solche Regelung zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand für Unternehmen einerseits und der Entwertung der individuellen Eigenverantwortung der Arbeitnehmer andererseits führt.

Paukenschlag: radikaler Gegenentwurf der Union geplant

Nun gibt es den nächsten Paukenschlag: Laut F.A.Z. plant die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag einen radikalen Gegenentwurf. Im Kern geht es darum, dass Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit nicht erfassen wollen, diese auch nicht erfassen müssen. Ihr Ziel sei ein Gesetz, „das freiwillige Vertrauensarbeitszeitmodelle im Rahmen des EU-Rechts ohne Pflicht zur Arbeitszeiterfassung weiterhin überall dort ermöglicht, wo es praktikabel ist“. Im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen wurde vereinbart, dass Modelle wie die Vertrauensarbeitszeit möglich bleiben sollen. Die Formulierung der Union kommt der Vereinbarung wesentlich näher als es der derzeitige Referentenentwurf tut.

Bundesarbeitsminister Heil verspricht, dass auch mit dem Referentenentwurf Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich sei. Vergleicht man die im Arbeitszeitmanagement üblichen Definitionen, stellt man fest, dass diese Vertrauensarbeitszeit eher ein tagesaktuell dokumentiertes Gleitzeitmodell darstellt. Arbeitsbeginn und Arbeitsende werden zwar nicht vom Arbeitgeber vorgegeben, die tatsächlichen Zeiten müssen aber tagesgenau zur Dokumentation aufgezeichnet werden.

Der Referentenentwurf des BMAS trägt den umfassenden Titel: „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften“. Inhaltlich geht es in den Regelungen aber nur um die Arbeitszeiterfassung. Der Entwurf der Union geht darüber hinaus und fordert eine Flexibilisierung der aktuellen gesetzlichen Regeln zur Dauer der Arbeitszeit. Konkret durch eine Anpassung des Arbeitszeitgesetzes an die EU-Arbeitszeitrichtlinie und die Vorgabe einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit.

Diese Anpassung würde auch vielen Beschäftigten entgegen kommen. Aus meiner Erfahrung sind es vor allem die Mitarbeiter, die sich mehr Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit ohne neue Zwänge wünschen, um möglichst viel Freiraum für eine individuelle und passgenaue Arbeitszeitgestaltung zu haben. Das wird vom Referentenentwurf des BMAS schlichtweg ignoriert.

Vielleicht besteht ein realistischer Hoffnungsschimmer auf eine ergebnisoffene Diskussion, denn es gibt reichlich Input für die sogenannte Ressortabstimmung. Neben dem Unionsentwurf, der noch vor Pfingsten in der Fraktion verabschiedet werden soll, gibt es kritische Stimmen aus anderen Ministerien, Verbänden und Organisationen.

Standpunkt der Chemie Arbeitgeber

Die durch den BAVC eingebrachten Kritikpunkte und Vorschläge der Arbeitgeber der chemischen Industrie lauten:

  • Dem zunehmenden Arbeitskräftemangel kann nur mit einer Arbeitszeitflexibilität begegnet werden und nicht mit kleinlicher Dokumentation jeder Arbeitsminute.
  • Tariföffnungsklauseln für tarifgebundene Unternehmen bieten einen attraktiven Gestaltungsspielraum und stärken die Tarifbindung. Die tarifliche Öffnung muss aber Vereinbarungen eines flexiblen und vertrauensbasierten Arbeitssystems ermöglichen. Hier besteht erheblicher Änderungsbedarf des Entwurfs.
  • Arbeitszeit muss weiter leicht an tatsächliche Bedarfe anpassbar sein. Der Entwurf verhindert dies. Die Sozialpartner können sinnvolle Leitplanken für diese Spielräume schaffen – die Chemie-Sozialpartner haben damit längst begonnen.
  • Der Gesetzgeber muss die Flexibilisierungsspielräume der EU-Arbeitszeitrichtlinie und der EuGH-Rechtsprechung nutzen und darf nicht zusätzliche deutsche Hürden aufbauen.

Aber auch von verschiedenen Ministerien gibt es kritische Rückmeldungen. So setzt sich Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) für eine flexible Anwendung bzw. eine praxistaugliche Umsetzung der Vorgaben zur geplanten Arbeitszeiterfassung in der Wissenschaft ein. Wörtlich heißt es dazu „Ambitionierte Wissenschaft darf nicht durch bürokratische Hürden ausgebremst werden.“ Eine durchaus interessante Sichtweise, die auch für die Forschungsbereiche der chemischen und pharmazeutischen Industrie zutreffend ist.

Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hat den Entwurf des BMAS kritisiert, weil viele praxiserprobte und von allen Beteiligten akzeptierte Lösungen nicht ausreichend berücksichtigt sind. Wichtig sei, dass bei der Neuregelung erstens die gelebte Unternehmenskultur nicht beschnitten werde, es zweitens nicht zu einem weiteren Bürokratieaufbau komme und drittens die Freiräume ausgeschöpft würden, die die Europäische Union den Mitgliedsstaaten gebe, sagte die CDU-Politikerin in Stuttgart der Badischen Zeitung.

Wann genau das Gesetz von Herrn Heil kommt, ist offen. In der Ampel gibt es vor allem zwischen SPD und FDP noch viel Klärungsbedarf – was sich wohl auch in der Bundestagsdebatte über den Unionsantrag zeigen wird. Insgesamt bleibt also abzuwarten, wie die Diskussion um den Referentenentwurf ausgeht und welche endgültigen Regelungen getroffen werden.

Sabine König

Sabine König ist Diplom-Ingenieurin, REFA Industrial Engineer und systemische Organisationsberaterin ist seit 2009 als Referentin Arbeitswissenschaft bei HessenChemie tätig und verfügt über langjährige Erfahrung als Abteilungsleiterin, Projektleiterin und Inhouse-Consultant sowie Lehrtätigkeit an der Hamburger Fernhochschule. Ihre Kernkompetenzen liegen in den Bereichen Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsbewertung, Entgeltgestaltung, Arbeitsorganisation und Organisationsentwicklung.

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