Kein Gesundheits-„Management“ ohne Kennzahlen

Ohne erarbeitete Kennzahlen scheitert das Betriebliche Gesundheitsmanagement an der nächsten Stufe der Professionalisierung – klare Ziele helfen bei deren Bestimmung. Trotzdem wird Gesundheitsmanagement letztlich nicht ‚am grünen Tisch‘ gemacht.

Immer wieder werde ich gefragt, ob ich Unternehmen kenne, die ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) haben. In diesem Moment weiß ich schon, dass meine Antwort mein Gegenüber enttäuschen wird. Denn ich kenne kein Unternehmen, das ein Gesundheitsmanagement „hat“ (im Sinne von, „ich habe einen Mercedes AMG GT, in selenitgrau, steht hier drüben in meiner ausgebauten Garage“). Sogar AbbVie, unser Nachbar in Wiesbaden und Träger des Corporate Health Award 2015 „hat“ kein Gesundheitsmanagement.

Ein betriebliches Gesundheitsmanagement ist kein „Wellness“-Programm, sondern unterstützt im Wettbewerb; eigene Darstellung in Anlehnung an Becker/Krause/Siegmund, 2014.

Ein betriebliches Gesundheitsmanagement ist kein „Wellness“-Programm, sondern unterstützt im Wettbewerb; eigene Darstellung in Anlehnung an Becker/Krause/Siegmund, 2014.

Jedoch „hat“ AbbVie sich auf den Weg gemacht – und das bereits seit vielen Jahren -, um dem Thema Gesundheit Bedeutung einzuräumen. Für ein Gesundheitsunternehmen ein naheliegender Schritt. Daraus ist zu Beginn ein Steuergremium und daraus ein Strategiepapier entstanden, später folgte eine Betriebsvereinbarung zum Eingliederungsmanagement, die Erhebung von Benchmarkdaten bis hin zur Verankerung von Gesundheitszielen in den Vereinbarungen für Führungskräfte und vieles mehr. Das ist beachtlich, aber lange nicht abschließend, denn schließlich wandelt sich auch die Arbeitswelt und mit dieser auch die Belastungen und Anforderungen, auf die das Gesundheitsmanagement Antworten geben muss.

Ein gutes Gesundheitsmanagement ist also nie statisch, kein fertiges Modell, das – auf Hochglanz poliert – in die Vitrine gestellt werden könnte. Sicher gibt es einige Standards (wer mag vertiefe sich in DIN SPEC 90210), letztendlich zählt jedoch der Wille sich stetig weiterzuentwickeln, professioneller zu werden und immer wieder einen Beitrag zu einem leistungserhaltenden bzw. -steigernden Umgang mit den Belastungen zu finden, die aus unserer Arbeitswelt oder unserem Lebensstil stammen.

Womit wir beim Thema wären. Denn einen Fortschritt im BGM, weg vom Bauchgefühl und dem kurfristigen Treiber Krankenstand, kann nur über die Bestimmung und Erhebung von Kennzahlen erreicht werden. Das wusste schon good old Peter F. Drucker:

Was du nicht messen kannst, kannst du nicht lenken.

Sonst schwebt der offene oder unausgesprochene Vorwurf durch die Unternehmensgänge und -hallen, nur „betriebliche Wellness“ zu betreiben, während der Rest der Mannschaft den Laden am Laufen hält und Geldverdient. Frau Dr. Katharina Hoß ist Beraterin für Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) und hat für unsaufgearbeitet, warum sich die Vorarbeit lohnt, Kennzahlen zu bestimmen und im Blick zu halten:

Drei Säulen eines Gesundheits-Managementsystems

Die Gesunderhaltung von Beschäftigten nimmt seit einigen Jahren einen immer wichtigeren Stellenwert für Unternehmen ein. Ein ganzheitliches, gut geplantes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) führt verschiedene Gesundheitsaktivitäten in den Betrieben strategisch zusammen, erzeugt daraus für das Unternehmen einen Nutzen und zeigt diesen auf. Neben der betrieblichen Gesundheitsförderung, stellen der betriebliche Arbeitsschutz und das betriebliche Eingliederungsmanagement die drei wesentlichen Säulen des BGMs dar. Je nach Säule stellt sich die Verteilung von Pflicht und Kür für Arbeitnehmer und Arbeitgeber unterschiedlich dar.

Drei-Säulen-Modell des Betrieblichen Gesundheitsmanagement
Drei-Säulen-Modell des Betrieblichen Gesundheitsmanagement

Im Steuerraum des „Cockpit“

Dass sich Maßnahmen zur Gesundheitsförderung für Unternehmen rentieren, belegen bereits unterschiedliche Studien (zusammengefasst insbesondere im IGA-Report 28 zu ‚Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Prävention‘); mit einem entscheidenden Haken: Sie führen diesen Nachweis auf eine allgemeine, wenig fassbare Art. Dass sich je eingesetztem Euro Einsparungen, u.a. aus der Reduktion von krankheitsbedingten Fehlzeiten, um mindestens das Doppelte erwarten lassen, vermittelt einem BGM-treibenden Unternehmen schon mal ein gutes Grundgefühl.

Doch das genügt nicht, um intern gleichermaßen anerkannt zu sein wie… sagen wir beispielsweise das Qualitätsmanagement. Wie lässt sich der Nutzen auf betrieblicher Ebene nachweisen? – Hier kommen Kennzahlen ins Spiel. Um die wichigsten Kennzahlen kompakt im Überblick zu haben, entwerfen manche Unternehmen ein sogenanntes „Cockpit“ oder fassen diese in einem Gesundheitsbericht zusammen. Hier werden dann diejenigen Zahlen aufgeführt und beobachtet, die für das Unternehmen von besonderem Interesse sind… wie z.B. die Gesundheitsquote oder ein Index, der das Engagement der Beschäftigten widerspiegelt.

Reiseziel Europa? – Die spezifischen Ziele bestimmen die passenden Kennzahlen

Welche Kennzahlen nötig sind, um Erfolge und Misserfolge zu messen, hängt von den Zielen ab, die ein Betrieb mit dem BGM erreichen möchte. Und da gibt es unterschiedliche Allein „gesunde Mitarbeiter“ haben zu wollen ist nämlich kein Ziel, sondern eher eine grobe, ziemlich nebulöse Beschreibung einer Vision – genauso als ob Sie als Reiseziel „Europa“ angeben würden. Am 03. März diesen Jahres Großbritannien, deren Hauptstadt London und dort wiederum die Tate Modern zu besuchen – das wäre eine sehr viel genauere Aussage, wohin Sie wollen, eben ein echtes Reise-Ziel! Vergleichbares sollte für das BGM angestrebt werden.

Ziele sollten bzgl. ihrer zeitlichen Dimension unterschieden werden

Ein kurzfristiges und leicht messbares Ziel kann beispielsweise die Teilnahmerate an einem gesundheitsförderlichen Angebot, etwa einer Rückenschule, sein (aufgrund des belegten Nutzens von qualitativ guten Rückenschulen zur Reduzierung von Rückenschmerzen kann hier ein gesundheitlicher Nutzern erwartet werden). Das Unternehmen setzt sich eine (Mindest-)Teilnehmerquote und nimmt sich vor, diese zu erreichen bzw. über Zeitraum x um 20 % Prozent auszubauen. Wird diese Quote nicht erreicht, ist ‚Manöverkritik‘ angesagt: Was waren die Ursachen unter der angepeilten Quote geblieben zu sein, was kann beim nächsten Angebot anders gemacht werden? etc. In manchen Fällen bedarf es auch der gleichzeitigen Betrachtung mehrerer Kennzahlen, um sich ein Bild davon zu machen, Warum Projektbereich A gegenüber Projektbereich B eine positivere Entwicklung genommen hat.

Was hat Einfluss auf die Gesundheit?

Sie werden nun einwenden: „Teilnehmerquoten sagen aber nichts darüber aus, ob sich der Gesundheitszustand dieser Personen verbessert hat und ob dies auf die Rückenschule zurückzuführen ist (und nicht darauf, dass der griesgrämige Kollege diese Woche grüßt oder mein finnischer Saunagang am Wochenende gut angeschlagen hat)!“ Zu Recht – aber dieses Beispiel stellt eben auch erst die einfachste Stufe der Messbarmachung dar. Wie sieht die nächste Stufe aus? Beispielsweise kann es nach der Rückenschule eine kurze Befragung geben, ob sich bestehende Beschwerdebilder seither verbessert haben. Bei positiver Resonanz ist es zumindest wahrscheinlich, dass die Rückenschule ihren Teil zur Verbesserung beigetragen hat.

Legt man sich die Latte noch etwas höher, kann mittelfristig als Kennzahl auch die Mitarbeiterzufriedenheit und deren Steigerung angestrebt werden, die als Bestandteil eines wiederkehrenden Fragebogens erhoben wird. Über welche Maßnahme(n) sich diese erhöhte Zufriedenheit erreichen lässt, sollte ebenfalls möglichst konkret festgelegt werden. Damit wird das Konstrukt ‚Mitarbeiterzufriedenheit‘ in Teilaspekte (Einbezug in Entscheidungen, Entwicklungsmöglichkeiten etc.) zerlegt („operationalisiert“), welche wiederum hinsichtlich Ihres Forschrittes messbar werden und im Gesamtindex ‚Mitarbeiterzufriedenheit‘ enthalten sind. Sehr ökonomisch orientierte Unternehmen setzen die Mitarbeiterzufriedenheit dann noch in einen Zusammenhang mit der Arbeitsqualität und können so erkennen, welchen geldwerten Nutzen die Mitarbeiterzufriedenheit für sie hat.

Als Faustformel für die Entwicklung von Kennzahlen gilt: Je langfristiger und komplexer das Ziel, desto anspruchsvoller die Erhebung (ob z.B. intern oder extern darstellbar) und Erfolgskontrolle. Daher ist vor der Erhebung zu erwägen, ob der erwartete Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis zum Aufwand sowie den für die Erhebung benötigten Fach- und Verfahrenskenntnissen steht.

Ob die ausgewählten Kennzahlen (nur) das messen, was sie messen sollen, ist deshalb bei komplexeren Kennzahlen immer wieder zu hinterfragen. Jeder, der auch die sogenannten weichen Kennziffern erheben möchte (Burn-Out-Risiko, Motivation, Mitarbeiterführung oder gesundheitsrelevante Verhaltensweisen), die eher subjektiv geprägt sind und beispielsweise aus Mitarbeiterbefragungen gewonnen werden können, sollte hier genau hinschauen.

Quelle

Kann ein Unternehmen durch ein BGM wirtschaftlich erfolgreicher werden?

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Erfolg durch ergonomische Arbeitsplätze, eine gesundheitsgerechte Führung oder Stressreduktionskurse nachzuweisen kann anspruchsvoll sein. Die vielfältigen internen und externen Faktoren, die den Gesundheitszustand und die Produktivität von Mitarbeiter und Unternehmen beeinflussen, erschweren dieses Vorhaben. Außerdem möchte man in der Regel nicht bei der Messung von Teilnahmequoten an Maßnahmen zur Gesundheitsförderung stehen bleiben. Trotzdem: Ohne Kennzahlen zu erarbeiten, zu erheben, zu diskutieren und zu hinterfragen (und das Ganze wieder von vorne zu beginnen), kann das mühsam aufgebaute Haus des BGM bei der nächsten Konjunkturdelle schnell in sich zusammenfallen. Kosten reduzieren? – Warum nicht dort, wo der Wertschöpfungsbeitrag ohnehin fraglich ist!


Wer keine Kennzahlen erhebt, klinkt sich von vornherein aus dem Dialog über den Nutzen der BGM-Aktivitäten für das Unternehmen aus.


Das sollte unbedingt vermieden werden. Und auch wenn es unterschiedliche Interpretationen für ein und dieselbe Kennzahl gibt – sobald diese erarbeitet wurde(n), besteht zumindest ein Fixpunkt, von dem aus eine positive oder negative Gesundheitsentwicklung verfolgt werden und nach den dazugehörigen Ursachen geforscht werden kann. Die Möglichkeit auf diese Art ‚Boden unter die Füße‘ zu bekommen, sollte nicht leichtfertig aufgegeben werden.

Kreislauf einer kennzahlengestützten Erfolgsmessung im Betrieblichen Gesundheitsmanagement

Denn das Gute liegt so nah – welche Gesundheits-Kennzahlen sind leicht zu ermitteln?

Es gibt eine Reihe von Kennzahlen, die für Betriebe gängig sind, meist vorgehalten werden und für die Bewertung von Gesundheitsmaßnahmen hilfreich sein können. Hierzu zählen beispielsweise a) die Anzahl von Unfällen, b) Hinweise, die sich aus der Gefährdungsbeurteilung ergeben, c) krankheitsbedingte Fehlzeiten, d) demografische Daten und deren Entwicklung oder e) die Zahl der BEM-Berechtigten. In der Regel liegen diese Daten vor, müssen oft aber noch mit System ausgewertet (abteilungszusammenfassend/ -vergleichend, um Verzerrungen bereinigt oder in quartalsweiser Betrachtung) oder an manchen Stellen mit etwas Hege und Pflege ergänzt werden. Für den Arbeitsschutz sind beispielsweise die Nohl-Werte zu nennen, mittels derer Sicherheitsexperten auf einer Skala von 0 bis 7 die Wahrscheinlichkeit des Eintretens und den Schweregrad einer Gefährdung bewerten. Grundsätzlich gilt: Je konkreter beschrieben werden kann, was gemessen werden soll, desto besser können die benötigten Daten erhoben werden und desto belastbarer sind die Ergebnisse.

Welche Aussage hat der Krankenstand?

Über den Krankenstand bzw. die Fehlzeiten als Kennzahl wurde auch in diesem Blog schon geschrieben (Vom Sinn und Unsinn von Fehlzeiten-Projekten), es muss aber noch einmal betont werden: Überdurchschnittlich hohe Krankenstände signalisieren zwar Handlungsbedarf, im Umkehrschluss wäre es jedoch falsch, niedrige Krankenstände als Garant für gesunde Mitarbeiter und wirtschaftlichen Erfolg anzusehen. Nach Arbeitnehmerbefragungen geben mehr als zwei Drittel der Beschäftigten an, in den vergangenen zwölf Monaten trotz eingeschränkter Arbeitsfähigkeit gearbeitet zu haben, ein Drittel sogar gegen ärztlichen Rat (vgl. BKK Report 2011).

Ein solcher Präsentismus kann zu hohen Produktionsausfallkosten führen und dessen Folgekosten können sogar höher veranschlagt werden als die Kosten krankheitsbedingter Fehlzeiten (vgl. Steineke/ Badura 2011). Mitarbeiter die „sich krank zur Arbeit schleppen“ machen bei der Arbeit häufiger Fehler, die Qualität stimmt nicht und auch die Arbeitsgeschwindigkeit verlangsamt sich. Auch die Folgen eingeschränkter Arbeitsfähigkeit durch Krankheit bei geistigen Tätigkeiten lassen sich ebenfalls nur schätzen oder durch Befragungen von Mitarbeitern analysieren. Entscheidend ist, dass das Erscheinen am Arbeitsplatz im Krankheitsfall meist nur zu einer Verschiebung und dann Verlängerung krankheitsbedingter Fehlzeiten führt. Der Krankenstand ist auch aus diesem Grund als Erfolgskennziffer für das BGM wenig geeignet, wenngleich er eine aus Kostenperspektive des Unternehmens entscheidende Größe ist und somit als wichtige Kennziffer mitgeführt werden sollte.

Wie soll nun also ein Unternehmen vorgehen, das sein Gesundheitsmanagement mit Kennzahlen steuern möchte?

Wenn ein Unternehmen den Erfolg des eigenen Gesundheitsmanagements messen und damit steuern und erhöhen möchte, sollte es:

… auf unterschiedliche Weise für die Gesundheit der Beschäftigten verantwortlich sind und/oder Zugriff auf Kennzahlen haben (oder diesen erlangen können),

überlegen, welche Kennzahlen bereits vorliegen,


Letztendlich muss eine praktikable Methode gefunden werden, um die Kennzahlen übersichtlich, schnell abrufbar und kontinuierlich erfassen und darstellen zu können.

Tipp: Orientieren Sie sich an anderen, etablierten Unternehmenbereichen und -funktionen; wie wird es dort gemacht? Sie haben schon ganz viel Wissen an Bord :).

Welchen Nutzen hat z.B. die letzte Marketingkampagne für Ihr Produkt gebracht (z.B. wie viele Neukunden mit welchem Gesamtumsatz)? Wie hoch waren die Kosten? Wie ist demnach das Kosten-Nutzen-Verhältnis einzuschätzen?

Versuchen Sie, für das Gesundheitsmanagement ähnlich vorzugehen – gutes Gelingen!


Dr. rer. medic. Katharina Hoß (www.katharina-hoss.de) ist Beraterin für Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) und unterstützt Unternehmen bundesweit bei der strategischen Ausrichtung ihrer gesundheitsförderlichen Aktivitäten und dem Aufbau nachhaltiger Gesundheitsstrukturen.

Dr. rer. medic. Katharina Hoß

Clemens Volkwein

Clemens Volkwein

Clemens Volkwein ist Demografieberater für die hessischen Unternehmen aus Chemie, Pharma und Kunststoffverarbeitung. Hysterie in der Demografie-Debatte hält er für überflüssig, gute Ideen hingegen nicht, wie sich die Alterung und Schrumpfung unserer (berufstätigen) Bevölkerung positiv gestalten lassen.

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