Bleibt mobile Arbeit mobil?

Mobiles Arbeiten, Homeoffice, hybrides Arbeiten, Videokonferenzen, virtuelle Zusammenarbeit – all das gab es auch schon in den Jahren vor 2020. Entweder als Zukunftsvision oder in der Fläche umgesetzt in innovativen Unternehmen. Für mich als Arbeitswissenschaftlerin und für viele meiner Kolleginnen und Kollegen waren die letzten 3 Jahre eine Riesenmöglichkeit, solche Arbeitsformen mit statistisch höchst belastbaren Teilnehmerzahlen im Feldversuch zu begleiten. Bei vielen der nach 2021 durchgeführten Studien stand die Frage im Fokus: wie funktionieren die neuen (oder besser mittlerweile etablierten) Formen der Arbeit, wenn sie nicht (staatlich) angeordnet sind, sondern im Rahmen von unternehmerischen Entscheidungen zur Wahl gestellt werden?

Sie haben keine Lust mehr, sich über solche Fragen Gedanken zu machen, weil ausbalancierte betriebliche Regelungen zum mobilen Arbeiten ihren Arbeitsalltag bestimmen? Herzlichen Glückwunsch! Oder vielleicht auch nicht. Denn unabhängig von den positiven Ergebnissen pro mobilen Arbeitens gibt es sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene das Interesse, mobiles Arbeiten gesetzlich zu regulieren. Was bedeutet das? Gehen wir der Reihe nach.

Aktuelle Studien zur mobilen Arbeit

Ich habe mir mal 2 aktuelle Studien zum Mobilen Arbeiten näher angeschaut. Sowohl die Studie aus dem privaten Bankengewerbe (Mai 2023) als auch die Studie von PWC (Juli 2023) liefern belastbare Vergleichszahlen. Die Ergebnisse, die das Sozialforschungsinstitut Kantar im Auftrag des AGV Banken erhoben hat, stammen bereits aus der 14. Welle. Bei PWC ist es die 3. Auflage seit 2020.

Die Studie des AGV Banken kommt zu folgenden wesentlichen Ergebnissen:

  • 70 % der Beschäftigten im privaten Bankgewerbe arbeiteten 2022 mindestens gelegentlich mobil.
  • Mobilarbeit durchdringt inzwischen alle Arbeitsbereiche, vermehrt auch Tätigkeiten mit Kundenkontakt. Wo Mobilarbeit möglich ist, wird sie genutzt.
  • Die Hauptgründe, aus denen Mobilarbeit nicht möglich ist, sind nahezu unverändert. Jeweils 7% der Beschäftigten geben an, dass dies ihre Tätigkeit nicht erlaubt, ihr Arbeitsbereich dazu keine Möglichkeit bietet oder sie selbst daran kein Interesse haben.
  • Die Zusammenarbeit im Team von verschiedenen Orten aus gehört bereits für zwei Drittel der Bankbeschäftigten mindestens gelegentlich zum Alltag, für die Hälfte ist das bereits (sehr) oft der Fall.
  • Mobile und hybride Arbeitsformen wirken auf die Beschäftigten ganz überwiegend positiv und entlastend. Alle wichtigen Aspekte der Arbeitsqualität wurden überdurchschnittlich gut bewertet. Dazu gehören die eigene Effizienz und Zielerreichung beim Mix aus mobiler und stationärer Arbeit, aber auch wichtige Team-Indikatoren wie Erfahrungsaustausch, Besprechungskultur, Team-Organisation und Erreichbarkeit.
  • Wer mobil und hybrid arbeitet, ist überdurchschnittlich zufrieden und gesund. Insbesondere auf die psychische Verfassung der Beschäftigten wirken sich mobile und hybride Arbeitsformen positiv aus.

Was ist die Quintessenz der PWC-Studie?

  • 3 von 4 Beschäftigten geben an, dass ihre Produktivität im Homeoffice genauso hoch oder höher ist als im Büro. Interessanterweise sehen das 94% der Arbeitgeber genauso.
  • Technische und arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen wie Informationsaustausch, Datenzugriff und Zusammenarbeit haben sich im Homeoffice seit 2020 signifikant verbessert.
  • 71% der Befragten gab an, das die Möglichkeit der flexiblen Nutzung des mobilen Arbeitens maßgeblich zu einer höheren Zufriedenheit und Lebensqualität beiträgt.
  • Insgesamt 78% der befragten Unternehmen geben an, dass ihre Mitarbeiter durchschnittlich 2,3 Tage/Woche mobil arbeiten. Die Wünsche der Beschäftigten liegen mit durchschnittlich 2,6 Tagen/Woche relativ nah dran.
  • Besonders hervorgehoben wurde die mobile Arbeit als wichtiges Element zur Verbesserung der Work-Life-Balance. Weit mehr als die Hälfte der Befragten sahen erhebliche Vorteile in der Ersparnis von Zeit und Kosten beim Arbeitsweg und der flexibleren Gestaltung der Arbeitszeit.

So weit, so gut. Berücksichtigt man, dass in Deutschlandweit vor der Pandemie weniger als 20% der Beschäftigten regelmäßig in mobiler Arbeit gearbeitet haben, sind es aktuell über alle Branchen hinweg mit ca. 38% fast doppelt so viele Beschäftigte. Ein Wert, der übrigens während der angeordneten mobilen Arbeit im Rahmen der Corona-Pandemie nicht signifikant höher war. Erlaubt sei der Schluss, dass sich an diesem Wert auch mit einer nachpandemischen gesetzlichen Regelung nicht viel ändern wird. Je nachdem, wie die Regelung ausfällt, wird sich aber eins ändern: die Einstellung der Unternehmen und der Beschäftigten. Denn auch dies lässt sich – nicht nur – den Studien entnehmen: gelingendes Merkmal der mobilen Arbeit ist das beiderseitige Vertrauen, die Übernahme von Eigenverantwortung und das Respektieren der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben. Ich würde noch einen weiteren wichtigen Punkt ergänzen – ein Grundverständnis zur Definition, was unter mobiler Arbeit zu verstehen ist.

Bleibt mobile Arbeit weiterhin mobil?

Leider muss man feststellen, dass es im Kontext der Diskussion zu einer gesetzlichen Regelung sehr unterschiedliche Standpunkte der Interessenvertreter gibt. Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.

Einen wirklich guten Ansatz auf nationaler Ebene finde ich die vom BMAS ins Leben gerufene Politikwerkstatt „Mobile Arbeit“. Hier diskutieren Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite mit über 100 Experten aus der Wirtschaft, den Berufsgenossenschaften und der Wissenschaft. Das diese Diskussion nicht nur harmonisch verläuft, liegt auf der Hand. Wenn Gewerkschaftsvertreter einiger Branchen aber nicht verstehen, dass mobile Arbeit weitaus vielfältiger als „Bildschirmarbeit“ an festen Orten und eben nicht nur ein anderes Wort für (die schon geregelte) Telearbeit ist, stelle ich mir die Frage, ob da wirklich noch Mitgliederinteressen vertreten werden. Auch die besondere Bedeutung der Mitwirkungspflichten und der Eigenverantwortung der Beschäftigten am Gelingen mobiler Arbeit kann nicht von der Hand gewiesen werden. Sollte am Ende des Diskussionsprozesses ein gesetzlicher Anspruch auf mobiles Arbeiten zu den Bedingungen der Telearbeit stehen, dann konterkariert dies den in den letzten 3 Jahren stattgefundenen Lernprozess auf beiden Seiten: Wir haben gelernt, dass sich nicht nur mehr Tätigkeiten und Arbeitsbereiche für Mobilarbeit eignen als gedacht, auch die technischen und arbeitsorganisatorischen Möglichkeiten und die digitalen Kenntnisse haben sich erheblich verbessert.

Das hat sich nicht im Selbstlauf ergeben, sondern durch Versuch und Irrtum, ständigem Suchen nach Lösungen und der Übernahme von Eigenverantwortung. Unternehmen und Mitarbeiter sind gewachsen an diesem Prozess und der Erfolg ist ein Teil der Lernkurve. Aus meiner Erfahrung ist Regulierung kein guter Begleiter in solchen Prozessen. Statt einen flächendeckenden Wandel der Arbeitskultur zu fördern, würden mobile Arbeitsformen durch neue Pflichten und bürokratische Auflagen wieder eingeschränkt werden.

Ich bin gespannt auf die Ergebnisse der Politikwerkstatt. Die Abschlussveranstaltung findet am 10. Oktober 2023 statt. Mit Interesse werden auch die Ergebnisse auf europäischer Ebene erwartet. Am 22. Oktober 2023 findet hier die zentrale Verhandlungsrunde zu den Sozialpartnervereinbarungen „Telearbeit“ und „Recht auf Nichterreichbarkeit“ statt. Ob und vielleicht welchen Einfluss dies auf die deutsche Gesetzgebung hat bleibt abzuwarten.

Wie mobil ist die Chemie?

Ebenfalls noch in diesem Jahr werden die Ergebnisse der Sozialpartnerstudie der chemischen Industrie zur Mobilen Arbeit vorliegen. In dieser Studie werden 21.000 Beschäftigte sowie Betriebsräte und Personalverantwortliche der teilnehmenden Unternehmen zu ihrer Erfahrung mit mobiler Arbeit befragt. Wissenschaftlich begleitet und ausgewertet wird die Studie vom Fraunhofer IAO.

Nach Einschätzung des AGV Banken lassen sich die Ergebnisse aus dem privaten Bankengewerbe auch in andere Branchen übertragen. Ob dies für die chemische Industrie zutrifft, wird man in Kürze anhand der Ergebnisse der Sozialpartnerstudie beurteilen können.

Ich halte Sie auf dem Laufenden.

Sabine König

Sabine König ist Diplom-Ingenieurin, REFA Industrial Engineer und systemische Organisationsberaterin ist seit 2009 als Referentin Arbeitswissenschaft bei HessenChemie tätig und verfügt über langjährige Erfahrung als Abteilungsleiterin, Projektleiterin und Inhouse-Consultant sowie Lehrtätigkeit an der Hamburger Fernhochschule. Ihre Kernkompetenzen liegen in den Bereichen Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsbewertung, Entgeltgestaltung, Arbeitsorganisation und Organisationsentwicklung.

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