Nachhaltige Berufsorientierung: Fünf Praxis-Tipps für eine erfolgreiche Umsetzung
Ein Gastbeitrag von Dr. Karsten Rudolf und Julia Behle
Das Thema Nachhaltigkeit hat die Arbeitswelt in den vergangenen Jahren verändert. Nachhaltiges Denken ist kein Fremdwort mehr. Ganz im Gegenteil: Die Wirtschaft benötigt Fachkräfte, für die es eine Selbstverständlichkeit ist, Nachhaltigkeitsaspekte an ihrem Arbeitsplatz zu berücksichtigen. Menschen Kompetenzen und Fähigkeiten dafür zu vermitteln, ist die Aufgabe einer innovativen Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE). In der Aus- und Weiterbildung ist durch das in den Standardberufsbildpositionen festgeschriebene „Greening der Berufe“ dafür ein großer Schritt gelungen. Ausbildende Fachkräfte und Auszubildende in Unternehmen vieler Branchen stehen jetzt vor der Herausforderung, Nachhaltigkeit erfolgreich in ihren Ausbildungsalltag zu integrieren. Dafür gibt es erprobte Handlungshilfen aus dem Modellprojekt ANLIN. Aber nicht nur für die Ausbildung: Um Fachkräfte für sich zu gewinnen, sollten Unternehmen und Bildungsträger bereits in ihren Berufsorientierungsmaßnahmen damit beginnen.
Wie lassen sich junge Menschen nachhaltig für die Branche begeistern?
Berufsorientierung soll Spaß machen. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Mit dem Projekt „BOOM – Berufsorientierung und grüne Jobs mal anders„, das die „Nationale Auszeichnung – Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)“ erhielt, haben wir bei Provadis Erfahrungen gesammelt, die diesen Grundsatz bestätigen. Bei BOOM handelte es sich um kostenlose 6-tägige Feriencamps, die wir gemeinsam mit dem Collaborating Centre on Sustainable Consumption and Production (CSCP) und der Sportjugend Hessen durchgeführt haben. Gefördert wurde das Berufsorientierungsangebot vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) sowie dem Europäischen Sozialfonds (ESF).
Was zeichnete BOOM aus?
Im Mittelpunkt des Projekts, an dem über 200 junge Menschen von 2020 bis 2022 teilnahmen, stand das eigenständige Erleben und Ausprobieren verschiedener handwerklicher Tätigkeiten unter Anleitung von Unterstützenden aus der Praxis. Unser Ziel war es, den Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren zu vermitteln, dass jeder Beruf das Potenzial hat, nachhaltiges Handeln zu integrieren (mehr dazu unter www.nachhaltige-berufsorientierung.de). Im Bereich Elektrotechnik installierten die Teilnehmenden beispielsweise eine Photovoltaikanlage als E-Bike-Ladestation, montierten einen Solarcharger fürs Handy sowie Solar-Leuchten und stellten im Bereich Kunststoffrecycling Kugelschreiber aus eingeschmolzenen alten Flaschendeckeln und anderen sortenreinen Kunststoffen her. Jedes BOOM-Feriencamp stand unter einem bestimmten Motto, zum Beispiel „Energie und Mobilität“ oder „Ernährung“. Einige Jugendliche nahmen sogar mehrfach teil, so wie Tom. Er ließ sich durch die Camps inspirieren und absolviert mittlerweile eine Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik bei Provadis. Mehr von Tom auf plante-beruf.de…
„Greening“ in der Berufsorientierung – diese Tipps helfen weiter
Die Erfahrungen aus unserer Berufsorientierungsarbeit lassen sich auch auf andere Branchen übertragen und können für Ihre zukünftigen Angebote hilfreich sein:
Vom Vertrauten zum Speziellen kommen
Sprechen Sie mit den Jugendlichen über ihre individuellen Erfahrungen und Ansichten zur Nachhaltigkeit aus dem Alltag und der Schule. Diese Kommunikation schafft eine Plattform, um spezifische Nachhaltigkeitsaspekte im bisher für sie unbekannten Berufsumfeld hervorzuheben und Interesse zu wecken. Zusätzlich können Programmpunkte mit Erlebnischarakter die Gruppendynamik unterstützen.
Nachhaltigkeitspotenziale in Berufen finden
Ermitteln Sie individuelle Nachhaltigkeitsaspekte: In jedem Beruf stecken Potenziale für die Integration von Nachhaltigkeit. Ob Fragen rund um nachhaltige Werkstoffe oder Abfallvermeidung, innovative Ansätze der Kreislaufwirtschaft oder das in jeder Branche relevante Thema Lieferketten – es lohnt sich, in jedem Beruf bis ins Detail hinein Tätigkeiten und Prozessschritte unter „Greening-Gesichtspunkten“ zu beleuchten.
Mit naheliegenden Berufsfeldern starten
Bieten Sie als Unternehmen oder Bildungsträger Berufsorientierung für verschiedene Berufsgruppen an? Dann sollten Sie bei den Berufsfeldern beginnen, wo die Verbindung zur Nachhaltigkeit offensichtlich ist – vom Bereich Lieferketten bis zum Produkt oder der angebotenen Dienstleistung.
Selbstwirksamkeit und Handeln ermöglichen
Konzipieren Sie nachhaltige Berufsorientierungsprogramme, die Teilnehmende dazu anzuregen, mitzudenken und ins Handeln zu kommen. Junge Menschen können dadurch erkennen, dass mit kleinen Schritten Veränderungen und Verbesserungen in den Berufen und im Alltag möglich sind. Besonders wirkungsvoll – aufgrund der erlebten Selbstwirksamkeit – sind Workshops, bei denen die Teilnehmenden am Ende etwas selbst Gestaltetes in ihren Alltag mitnehmen können oder gemeinsam „etwas Bleibendes“ vor Ort gebaut oder installiert wird.
Theorie und Praxis verbinden: Lernen mit Spaß
Die Erfahrungen im BOOM-Projekt haben gezeigt, dass es wichtig ist, Berufsorientierungsprogramme kognitiv nicht zu überhöhen. Viele schalten bei längeren Vorträgen ab. Entwickeln Sie daher niederschwellige Angebote, bei denen die Teilnehmenden Spaß haben und schnell ins Handeln gehen können. Wenn der Lerneffekt mit Spaß verknüpft ist, bleiben die Inhalte länger im Gedächtnis.
Auch wir bauen das Thema Nachhaltigkeit kontinuierlich in unserer Berufsorientierungsarbeit ein. In diesem Jahr haben wir beispielsweise das Angebot „Girls4MINT“ für Mädchen im Alter von 14 bis 16 Jahren an den Start gebracht. Nachhaltigkeit und Digitalisierung in den MINT-Berufen spielen darin eine zentrale Rolle. Mehr dazu unter www.girls4MINT.de und www.bmuv.de/
Oder verwenden Sie Beispiele, die Sie aus den Medien kennen: Lassen Sie etwa zusammen mit einer Partnerschule eine Demonstrations-Wärmepumpe bauen. Die Jugendlichen können im Team in verschiedenen Gewerken ein nachhaltiges Produkt erstellen und dadurch dringend benötigte Berufe aus Metall, Elektro, Logistik und Labor erkunden: www.provadis.de/
Die verschiedenen Ansätze aus BOOM und den anderen Berufsorientierungsprojekte vermitteln Jugendlichen, dass die chemische Industrie nicht nur Berufe mit Zukunft für sie hat, sondern man hier die Zukunft mitgestalten kann.
Tipps zur nachhaltigen Berufsorientierung
Die Autoren
Provadis Partner für Bildung und Beratung GmbH ist ein Unternehmen der Infraserv-Höchst-Gruppe. Mit rund 1.800 Auszubildenden und über 2.500 Weiterbildungsteilnehmenden an den Standorten Frankfurt und Marburg gehört Provadis zu den führenden Anbietern von Bildungsdienstleistungen in Hessen.
An der Provadis Hochschule studieren über 1.100 Studierende in dualen und berufsbegleitenden Studiengängen mit international anerkannten Bachelor- und Masterabschlüssen. Die Hochschule bündelt ihre interdisziplinären Aktivitäten im Bereich Forschung und Projekte im Zentrum für Industrie und Nachhaltigkeit.